SOUNDTRACK TO A COUP D’ETAT

Nichts hat in den 60er Jahren die politische Linke so sehr geschockt, wie die brutale Ermordung des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba. Er war die Symbolfigur für die Befreiung des afrikanischen Kontinents vom europäischen Kolonialismus. Noch während die USA und Belgien insgeheim die Ausschaltung Lumumbas planen, schickt das US-Außenministerium Jazz-Größen wie Nina Simone oder Lous Armstrong in den Kongo, eine Ablenkungstaktik? 

Soundtrack to a Coup d’Etat ist ein Zeugnis dieses perfiden Coups. Visuell und musikalisch ganz im Stil des berühmten Blue Note Jazz Lables gestaltet, entwickelt der Film von Johan Grimonprez einen Sog in die Zeit des Kalten Krieges und der politischen Machtspiele zwischen Europa und den USA. Unter großem Rechercheaufwand wurden noch unveröffentlichte Interviews, Reden von Lumumba und Musikauftritte von Miles Davies, Miriam Makeba und sehr vielen anderen zu einer packenden Erzählung montiert. 

Der Film gewann zahlreiche Preise auf internationalen Festivals und wurde als “bester Dokumentarfilm” bei den Oscars 2025 nominiert. 

SUDAN, REMEMBER US

April 2019, im Sudan putscht das Militär und stürzt den langjährigen Machthaber Omar Al-Bashir. In Folge gehen Tausende junge Menschen gegen das Regime in Khartum auf die Straße. Sie kämpfen für ein freieres, selbstbestimmtes Leben in einem neuen demokratischen Sudan.

In der Euphorie dieser Tage findet die Filmemacherin Hind Meddeb ihre Bilder der Revolution. Sie trifft auf junge Aktivist*innen, wie Shajane, Maha, Muzamil u.a. die nach 30 Jahren Diktatur für eine zivile Regierung kämpfen und dafür alles riskieren. Sie sind laut und sie sind kreativ. Sie erheben ihre Stimmen und erinnern an die Dichter*innen des Sudan und ihre Poesie der Menschlichkeit und Gerechtigkeit. In der Montage werden Meddebs Bilder zu einem kollektiven Portrait des sudanesischen Frühlings von 2019.

Sechs Wochen später, Anfang Juni eröffnet das Militär erstmals das Feuer auf die Demonstrierenden. Die Bilder aber können Gewehrsalven nicht töten.

Hind Meddeb (*1978) ist zwischen Frankreich, Marokko und Tunesien aufgewachsen. Vom Journalismus wechselte sie in den Dokumentarfilm und drehte u. a. zwei abendfüllende Filme über den arabischen Frühling aus der Perspektive der Jugend.

SECOND ROUND

An der Ecke der Rue de Charonne treffe ich auf den Briefträger, der seine zweite Tagesrunde beginnt. Er hat nichts dagegen, dass ich ihn begleite. Es ist sehr, sehr heiß, er trägt Sneaker und einen Karren, ich trage Clogs und ein Mikrofon.

Tesslye Lopez, after a master’s degree and a professional career in information and communication, she started working as an audiovisual director, making commissioned reports for the farming world and short “carte blanche” films for the cultural world.

Workshop: Sound in documentary film, Paris

ESCAPE/BETWEEN

Eigentlich dachte Gulnoza, sie kenne sich selbst gut genug und sei offen, für ein Filmprojekt über die Beziehung zwischen ihr und Denis, ihrem Freund. Sie wollte ehrlich und direkt sein, wollte keine Angst haben, über die Zukunft, über Religion und Glauben zu sprechen, wollte Verletzlichkeit zeigen. Die Dreharbeiten sollten zehn Tage dauern, nahmen aber eine andere Wendung.

Gulnoza Irgasheva is a filmmaker and activist based in Namangan, Uzbekistan. Gulnoza’s artistic and activist practices focus on decoloniality, Muslim women’s agency, and resistance strategy to oppression dynamics and colonial constructs based on gender, ethnicity, religion, race, and sexual orientation. Utilizing a participatory approach, their artistry involves decentralized decision-making, engaging the entire cast in every stage of filmmaking.

They commenced their filmmaking journey with the short film GURUNG during an archival footage filmmaking programme. Engaging in Ateliers Varan’s documentary programme, Gulnoza crafted the experimental documentary DEVORDAGI BOLALIK SURATIM that is set for festival distribution soon.

Gulnoza Irgasheva conceptualized and guided a series of site-specific performances, bringing together thirteen young women from Uzbekistan to explore themes of domesticity and everyday rituals at Venice Biennale 2024

NUDITY

Zamira ist festlich gekleidet, sie singt in einem Chor. Ein Liebeslied: „Was ist meine Lebensaufgabe hier auf Erden?“ wird zur Leitfrage des Films. Zamiras Tochter Sabina stellt sie ihrer Mutter, sie stellt sie der Öffentlichkeit hinter der Kamera – und sich selbst.
Die Frage ist nicht religiös gemeint, auch nicht moralisch, sondern analytisch-entblößend, und so zählt Sabina all das Unausgesprochene, Widersprüchliche, Misogyne akribisch auf, dass sie beim Aufwachsen als Mädchen in Usbekistan wahrgenommen hat. Mächtig, deformierend, akzeptiert – hängen nackte Wahrheiten in der Luft, in der Frauen leben. Die Frage wird nicht beantwortet, der Film verfolgt eine andere Spur: Die Tochter begleitet die Mutter durch den Alltag und es entspinnt sich eine Erzählung, in der Beobachtungen dem Gesagten entgegentreten. Es scheint möglich, sich selbst glücklich zu machen, den gesellschaftlichen Zumutungen andere Bilder entgegenzusetzen, solidarisch zu sein.

Sabina Bakaeva
s Erstlingsfilm, entstanden im Workshop der Tashkent Film School, ist ein offenes, mutiges Frauenporträt und eine ungeschönte Reise durch die Erfahrungen unterschiedlicher Generationen usbekischer Frauen.

WELCOME TO QURALAI!

Die Nacht ist noch schwarz. Im schmalen Licht der Taschenlampe zählt Quralai das Geld für den Mais, den sie den Pflückern abkauft. Zuhause wird sie ihn vorkochen und dann auf dem Markt in der Stadt verkaufen. Fünf Kinder muss sie hiervon ernähren, und sich um den Haushalt kümmern. Und ihr Mann? „Ist ein Mann der Straße“…

Die Filmemacherin Aishoola Aisaeva begleitet diese starke Bauersfrau durch den Tag, bis es wieder dunkel wird und sie das Taxi nach Hause nehmen. Und wovon träumt Quralai? Einmal im Leben in die Schweiz, sie liebt die Berge, die Landschaft …

Aishoola Aisaeva is a female documentary photographer and an independent filmmaker from Kyrgyzstan. Aishoola started her career as a journalist at the age of 13 and has published articles focusing on social issues and national politics for local and international media. She worked for many local and international non-profit organisations to support women and queer initiatives, advocate for human rights and the climate justice in the Central Asian region.
Nowadays, Aishola is engaged with building communities through art interventions as an artist at the Museum of Feminist and Queer Art in Kyrgyzstan, empowering youth, women and communities to tell their own stories and to speak up about injustice, gender inequality, climate crisis through experimental art and photo exhibitions.

SONGS OF SLOW BURNING EARTH 

In Songs of Slow Burning Earth dokumentiert Filmemacherin Olha Zhurba über zwei Jahre hinweg das langsame Eintauchen der Ukraine in den Abgrund des Krieges. Aber was bedeutet Krieg und welche Bilder können zeigen, was der Krieg mit den Menschen macht? Das Gedränge vor überfüllten Zügen, Panzerketten auf der Straße, zerstörte Wohnungen?

In diesem Film kommt der Krieg über das Ohr, davor kann man sich nicht schützen, auch nicht im Schlaf. Bei der Hotline meldet sich eine nächtliche Anruferin, sie meint Raketenbeschuss gehört zu haben, was soll sie tun? Ein Geschoss überfliegt dröhnend die Halle einer Brotfabrik. Der Blick der Arbeiter geht kurz zur Decke, dann machen sie weiter. Tagebuchartig sammelt Olha Zurba diese Momente.

Der Tod ist gegenwärtig, Gräber werden ausgehoben, aber die Kamera vermeidet stets respektvoll jeden Blick auf die Getöteten. Immer wieder Gewehrsalven, Sirenen heulen, die Einschläge kommen näher. Und dann verstummt der Film fast gänzlich. In der längsten Einstellung blickt die Kamera nur noch durch die Frontscheibe eines Pickups, der einem Leichenkonvoi vorausfährt. Entlang des Weges knien sich die Menschen in stillem Respekt vor den Getöteten.

Mit einem klaren Fokus auf der Seite der Menschlichkeit fängt die Regisseurin ein, was dieser Krieg mit den Menschen macht, aber auch, was sie ihm entgegenstellen.

Olha Zhurba is a Ukrainian film director, editor and screenwriter. Songs of Slow Burning Earth is her second feature length documentary. Films: DAD’s SNEAKERS (2021), OUTSIDE (2022), SONGS OF SLOW BURNING EARTH  (2024)

Awards: RIGA IFF FEATURE FILM COMPETITION; DOC FUTURE AWARD at Verzio IDFF Hungary; BEST FILM at Tertio Millennio Film Fest; Special Jury Award at Rome Documentary FF; Best Feature film at Big Sky Documentary FF

UNDER THE MIRABEAU BRIDGE

In Guillaume Apollinaires Gedicht prallen zwei Visionen aufeinander: das in Madagaskar erlernte Bild von Frankreich und die später in der ehemaligen Metropole erlebte Realität. Für einen Fremden bedeutet die Anpassung an das französische Leben die Überwindung unzähliger Schwierigkeiten. Für einen Madagassen ist der obligatorische Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Kultur eine der schlimmsten.

Workshop: Documentary film-making, Paris

Élie Rajaonarison (died 11. 27. 2010) was a poet, university professor and senior civil servant from Madagascar. Élie Rajaonarison is considered a pioneer of modern Malagasy poetry. His volumes of poetry have earned him international recognition and have been translated into French and English. He has also contributed to the development of the performing arts in Madagascar.

LANMÈ

Eines Tages habe ich meine Mutter verloren. Nun begebe ich mich Schritt für Schritt auf den Weg zurück zu ihr. Dieser Film ist ein Versuch, Mutterschaft für Frauen westindischer Herkunft in Frankreich anhand meiner eigenen Beziehung zu meiner Mutter zu verstehen. Was bedeutet Mutterschaft im Hinblick auf Beziehungen, Intimität und Trauer? Welche Mittel und welche Unterstützung erhielten diese Mütter? Wo waren die Väter? Gab es eine Gemeinschaft, auf die sie sich verlassen konnten – und wenn nicht, wie kann unter den Umständen geografischer Entwurzelung und diasporischer Verwandtschaftsbeziehungen eine solche Gemeinschaft aufgebaut werden?

Allyson Félicité is a multi-disciplinary, non-binary creator born in Normandy to parents from Martinique, Senegal, and Mali. They studied Rhetorical Communication and Gender at the University of Long Beach, worked with Vice France, and after graduating from La Fémis in 2020, directed their first short film LANMÈ during the Atelier Varan workshops.