Das Internet-Bildarchiv der Basler Mission im postkolonialen Dialog
in Zusammenarbeit mit dem Graduiertenkolleg Postcolonial Studies der Ludwig-Maximilians-Universität München
Im postkolonialen Diskurs wurden Rückführungsforderungen von Artefakten aus den Archiven der ehemaligen Kolonialherren oft mit dem Hinweis auf ihre Einmaligkeit erhoben. Fotografien entstehen zwar im Zusammentreffen von Fotograf und Objekt und verweisen gleichermaßen auf eine Singularität, doch handelt es sich zumeist um Abzüge, die im Gegensatz zu anderen Artefakten das Potential der Vervielfältigung aufweisen. Zudem zeichnen sich die Bilder durch eine hohe Mobilität aus. Beide Eigenschaften wurden durch die moderne Informationstechnologie potenziert. So bildet heute weniger eine Rückführung, sondern eher die (digitale) Öffnung der Archive als alternative und sinnvolle, transnationale und interkulturelle Herausforderung ein Neuland, das die Basler Mission – heute “mission 21” – mit einem engagierten Projekt betreten hat.
Das Internet-Bildarchiv der Basler Mission, www.bmpix.org, teilt eine doppelte Eigenschaft mit den Dokumenten, die es zeigt. Die mit ihrer Schaffung verbundenen Intentionen sind prospektiv und retrospektiv zugleich, sie dienen der zukünftigen Erinnerung an die Vergangenheit. Mehr als 27.000 Fotografien der Jahre 1850-1950 zeigen Motive aus Regionen, die heute zu den Staaten Ghana und Kamerun, Indien, China (inkl. Hongkong) und Indonesien (insb. Kalimantan) zählen. Die meisten Bilder stammen von Missionaren, die über lange Zeiträume relativ isoliert in fremden Gesellschaften gelebt haben, und den Mitarbeitern der Mission, der heimischen Gemeinde, Freunden und Verwandten vermitteln wollten, was sie vor Ort erfahren haben. Sie dokumentieren ihren Alltag, die Mission und ihre Mitarbeiter, sie zeigen fremde Menschen mit ihren Hütten und Gehöften, bei ihren ökonomischen Tätigkeiten oder Ritualen. Andere Aufnahmen zeigen Tempel, höfische Kulturen, oder dienen mit Familienportraits oder Landschaftsbildern der persönlichen Erinnerung. Zu jedem Bild werden die verfügbaren Informationen zu Herkunft und Kontext genannt und Suchfunktionen erleichtern das Auffinden. Jedes Bild beinhaltet eine Geschichte, die nur bedingt seine eigene ist. Sinnzuschreibungen verändern sich mit jedem Betrachter, sowie mit der räumlichen und zeitlichen Distanz zwischen Belichtung und Wahrnehmung. Einer Interpretationspluralität ist im world wide web kaum eine Grenze gesetzt. Um die Diskussion zu befruchten, wurden Emmanuel Akyeampong, Rahul Mehorta und Shandra Dwivedi als Bildinterpretatoren hinzugezogen.
Diese Bilderöffnung bedeutet mehr als die elektronische Zugriffsmöglichkeit auf einen visuellen Korpus, weil hier demonstrativ auf ein westliches Interpretationsmonopol verzichtet wird. Sie legt das fotografische Dokument der jeweils Fremden offen und zeigt ihnen heute nicht nur ein Bild ihrer Vorfahren und ihrer sozialen Umwelt, sondern auch den auf sie gerichteten Blick. Bild und Blick verschmelzen wie Protagonist und Perspektive, Fremde und Fremdenbild zu einer Einheit, doch können und sollen sie auf dem Workshop durchaus getrennt diskutiert werden. Zusammengeführt werden soll hingegen eine andere Perspektive: Die frühen Fotografien, die uns einst ein Bild von anderen liefern sollten, mögen uns heute zum Verständnis einer gemeinsamen Geschichte dienen.
Der Workshop beginnt mit einer Vorstellung des umfassenden Projekts durch Paul Jenkins, Afrika-Historiker und Archivar, und Barbara Frey-Näf, Ethnologin und Leiterin des Bildarchivs, beide “mission 21”, und Catherine Lutz-Walthard, art director am Hyperstudio in Basel. Thematisiert werden die Vorgeschichte des Vorhabens, die Archivierung, die Systematik und der Aufbau sowie das Design und die Technik des Internetarchivs, die mit dem Projekt verbundenen Intentionen und Perspektiven, Hürden und Hindernisse, und die derzeitige Nutzung des Archives. Am Nachmittag wird zunächst anhand konkreter Fotografien ein Einblick in das Archiv und sein Interpretationspotential geboten und anschließend die Tätigkeit der Bildinterpretatoren diskutiert. Ziel ist eine gemeinsame Diskussion über die durch das Archiv eröffneten Möglichkeiten des postkolonialen Dialogs.
Frank Heidemann