Im übrigen bin ich der Meinung, daß es uns im besonderen zufällt, das Kino wiederzuerfinden.
Djibril Diop Mambéty

Mambétys Lieblingsgenre war der Western: »Ich wuchs in der Gegend von Colobane auf, wo es ein Freiluftkino namens ABC gab. Wir waren sehr jung, etwa acht Jahre alt, und durften nachts nicht rausgehen, da die Gegend gefährlich war. Trotzdem schlichen wir uns nachts davon und gingen ins Kino. Da wir kein Geld hatten, um uns Karten für die Vorstellung zu kaufen, blieben wir draußen und hörten einfach zu. Es wurden vor allem Western und Hindi-Filme gezeigt. Nach den Vorstellungen gingen wir wieder ins Bett. Viele Jahre lang hörte ich Filme, bevor ich sie sah: Vielleicht hat es mit diesen Erfahrungen zu tun, daß der Ton in meinen Filmen für mich immer sehr wichtig ist. Am Anfang stand für mich die Musik der Western, und auch der erste Film, den ich sah, war ein Western. Ich wollte Filme drehen. Im Hof machten wir daraufhin mit einem weißen Laken, einer Kerze dahinter, ausgeschnittenen Figuren und Freunden vor dem Laken unser eigenes Kino, indem wir uns Bilder zu den gehörten Tönen ausdachten.« (Djibril Diop Mambéty)

Djibril Diop Mambéty wurde 1945 in Colobane bei Dakar geboren. Nachdem er eine Schauspielausbildung absolviert hatte und in mehreren senegalesischen und italienischen Filmen mitgewirkt hatte, realisierte er 1965 seinen ersten Film: BADOU BOY, der – wie er selbst sagt – ein Teil seiner Jugend war. 1970 stellte er eine zweite Fassung des Films her, um zu beweisen, daß das Etikett »Afrikanisch« nichts mit Mittelmäßigkeit zu tun hat. Dazwischen drehte er die Hommage an ‘seine’ Stadt Dakar: den amüsanten Dokumentarfilm CONTRAS CITY (1967). Darauf realisierte er, diesmal in Farbe, die zweite Fassung von BADOU BOY (1970). Obwohl die beiden Filme recht erfolgreich waren, suchte Mambéty weiter nach einer eigenen afrikanischen Filmsprache, die sich vor allem auf das Bild und den Ton konzentrieren sollte. Das Ergebnis seiner Überlegungen war ein erster abendfüllender Spielfilm TOUKI BOUKI (1973). Auch wenn der Film zuerst von Publikum und Kritik zurückhaltend betrachtet wurde, so war die neue Ästhetik, die Mambéty entwickelte, unverkennbar und trug entschieden zur Entwicklung des afrikanischen Kinos bei. 

»Wenn man einen Menschen von morgens bis abends begleitet, hat man ein Drehbuch. Und wenn man eine Stadt über Jahre hinweg Tag um Tag beobachtet, verfügt man über einen unerschöpflichen Schatz an Drehorten. Dann liegt es nur noch am eigenen Interesse, um diese Elemente in einen Film zu verwandeln.[…] Der Impuls, der hinter all dem steht, was ich tue, geht zurück auf den Moment der Befreiung in den 60er Jahren und wird eher von meiner Auffassung der Grenzen des Möglichen inspiriert, als von irgendeiner Entwicklung oder einem Trend des europäischen Films jener Zeit. Damals hörte ich außerdem auf, Rassist zu sein und wurde Missionar. Ich wurde mir über meine Mission im Namen meines Volkes und meiner Kultur bewußt und über meine universelle Pflicht, ein Lied zu singen, das in der ganzen Welt verstanden werden kann.« Danach hielt sich Mambéty längere Zeit in Rom auf und traf unter anderem Pier Paolo Pasolini. Erst 1989 drehte er wieder einen Film Parlons Grand-Mère und dann 1991 seinen zweiten langen Spielfilm: HYÈNES nach Friedrich Dürrenmatts ‘Der Besuch der alten Dame’. 

Inzwischen waren seine Aktivitäten nicht mehr ausschließlich auf das afrikanische Kino gerichtet. So eröffnete er Anfang der 90er Jahre in Dakar eine Schule (Foundation Yaadi Koone) und kümmerte sich auch verstärkt um den cineastischen Nachwuchs in Afrika. Eines seiner großen Anliegen war »Le film de poche«, ein Vertrieb speziell für afrikanische Filme, um eben diesen eine weltweite Plattfom zu geben.

1995 widmete sich Mambéty wieder seinen eigenen Filmen, er plante eine Trilogie kürzerer Filme, denen er den Untertitel ‘Geschichten von einfachen Leuten’ gab. »Die kleinen Leute – und das ist wichtig – sind die einzigen, die konsequent sind, die naiv sind, und daher auch Mut haben… Und es sind also auch Leute, die niemals ein Bankkonto haben werden, für die vor jedem Tag ein Fragezeichen steht. Der erste Film war LE FRANC (1995), danach folgte LA PETITE VENDEUSE DE SOLEIL (1998), und abschließend war L’apprenti voleur geplant. 

»Mit diesen Filmen möchte ich dem Mut der Straßenkinder die notwendige Anerkennung zukommen lassen. Die Liebe der Kinder ermutigt mich, den Alten, den Korrupten und denjenigen zu trotzen, deren Reichtum ihre eigene Seele nicht berührt. Das Leben verläuft in drei Stufen [deshalb die Form der Trilogie]: klein, groß, alt. Das Leben ist ein Theaterstück, und die meisten Theaterstücke haben drei Akte: einen Prolog, eine Handlung und einen Epilog. Ich befinde mich, meiner Meinung nach, irgendwo zwischen den ersten beiden Stadien der Trilogie des Lebens. Mal im Ernst: Wir Filmemacher haben die Aufgabe, vor allem universell zu sein. Wir stehen am Ende des ersten Jahrhunderts des Kinos und müssen das zweite Jahrhundert auf jeden Fall gewinnen. Wenn ich den afrikanischen Filmemachern in Afrika und in der Diaspora etwas raten soll, dann folgendes: Wenn Ihr verstanden werden möchtet, versucht trotzdem nicht mit allen Mitteln dem Publikum zu gefallen, sondern bleibt Euren Vorstellungen treu. Die Zukunft der Menschheit liegt in unseren Händen, wo auch immer wir uns befinden. Sowohl die afrikanischen Filmemacher als auch die afrikanischen Völker haben beim großen Treffen der Menschheit eine Aufgabe zu erfüllen, nämlich das Kino als eine Art Erleichterung von den vielen Nachteilen zu betrachten, wie z.B. nicht lesen oder schreiben zu können. Man darf nicht vergessen, daß das Kino nicht nur Augen und Ohren anspricht, sondern auch das Herz der Menschen. Es ist wichtig, die eigene Verantwortung im Umgang mit Film zu erkennen und mit den historischen Nachteilen und solchen, die noch aus der Kolonialzeit stammen, fertigzuwerden. Der Film muß der Selbsterkenntnis dienen, und zwar dringend.« Djibril Diop Mambéty verstarb am 23. Juli 1998 in Paris.
(Florian Krautkrämer)