Vier ägyptische Frauen wagen es, den Begriff Toleranz neu zu definieren. Alle vier sind Freundinnen, die das gleiche Ziel vor Augen haben: die menschliche Würde. Sie sind erfüllt von der Liebe zu ihrem Land: Sie haben alle noch Erinnerungen an die Herrschaft von König Faruk, hofften auf tiefgreifende Änderungen nach der Revolution von Nasser und kämpfen seitdem für soziale Gerechtigkeit. Doch ihre jeweilige Identität hat sich im Rhythmus der Geschichte entwickelt, und jede von ihnen beschreitet heute einen anderen Weg. Islamischen, christlichen Glaubens oder frei von jeder religiösen Bindung stehen sie sich in ihren unterschiedlichen Überzeugungen wie Antipoden gegenüber. Hier treffen die Vorstellung von einem konfessionsgebundenen, einem sozialistischen oder einem islamistischen Staat aufeinander. Doch die vier Frauen weigern sich, einander zu verteufeln. Sie wagen stattdessen, einander zu beurteilen und sich persönlich ihre Meinung zu sagen. Und sie können sogar über sich lachen.
»Wie ist der Film entstanden? Ich kannte Amina bereits seit 1980, als ich für eine Filmrecherche in Ägypten war. Seitdem pflegten wir unsere Freundschaft. Aber ich dachte nicht von Anfang an daran, einen Film mit ihr zu drehen. Ich wollte wissen, wie die Leute innerhalb der Familie mit ihren religiösen und politischen Meinungsverschiedenheiten umgehen. Amina meinte dann, es wäre auch interessant, diese Frage in Bezug auf Freundschaften zu stellen, also wie Freundschaften sich trotz der Differenzen halten können. Ich traf eine Gruppe von befreundeten Männern, die sich aus Studentenzeiten kennen; 20 Jahre später haben sie sich verändert, einer leitet die wichtigste islamistische Zeitung, ein anderer ist Dichter, ein anderer Verleger, einer ist überzeugter Neoliberalist. Sie führten heftige Auseinandersetzungen, aber ausschließlich auf ideologischer Ebene. Das fand ich nicht sehr interessant. Dann telefonierte ich wie jeden Tag wieder mal mit Amina und beklagte mich, daß aus dem Filmprojekt wohl nichts werde; daraufhin lud sie mich ein, ihre Freundinnen zu treffen und so entwickelte sich dann der Film. Die Frauen schaffen immer wieder diese Verbindung zwischen dem Privaten und dem Politischen, dem Individuum und dem Kollektiv. Und wenn eine Frau dann den Film dreht, ist sie diesen Aspekten gegenüber wahrscheinlich auch viel aufgeschlossener.
Es kommt auf den Blick an, mit dem man die Realität betrachtet; Politik, Geschichte ist nicht etwas, das außerhalb von uns abläuft. Jede ist Teil davon, die Frauen haben die Geschichte mitgeprägt, selbst wenn sie nur auf dem Balkon standen und auf Nasser heruntergeschaut haben. Die Zeit unter Nasser war für die Frauen, meine und die vorherige Generation, im Nahen Osten sehr wichtig. Nasser war ein Mythos. Er bedeutete Hoffnung und Scheitern zugleich.
Mich interessiert, was mit den Leuten danach passiert ist, was aus ihren Träumen, ihrem Engagement für Gerechtigkeit wurde. Was mich an Ägypten immer wieder beeindruckt ist, daß die Identität der Bewohner nicht in politische, soziale, nationale, individuelle Einzelteile aufgesplittet ist. Im Gegensatz zu dem sehr individuell geprägten Selbstverständnis, wie es in der westlichen oder nordamerikanischen Kultur üblich ist. Sich als Teil der Gesellschaft zu empfinden, gibt den Frauen in meinem Film viel Kraft. Im Westen bist du Teil einer Freundesgruppe, die an bestimmte Dinge glaubt, 10 Jahre später aber in ganz anderen Zusammenhängen steht. In Ägypten haben die Frauen das Gefühl, sie sind Teil eines Landes, dessen Geschichte.
Ich denke nicht, daß ich diesen Film auch schon vor 10 Jahren hätte machen wollen. Vielleicht schien es nicht so notwendig wie heute zu sein, offen zu bleiben, zuzuhören. Im Westen ist ein Islamist wie der Teufel, ein Feind, jemand, mit dem man von vornherein nicht diskutieren kann. Als der Film in Quebec herauskam, sagten mir Leute, wie großartig die Frauen seien, daß sie weiter miteinander reden, auch wenn sie so unterschiedlich sind. Und sie fragten sich, ob sie das in der kanadischen Gesellschaft nicht auch genauso machen sollten? Es ist also eine Frage, die uns alle und überall betrifft.
In Ägypten wurde der Film beim Festival in Kairo gezeigt und seitdem kursieren überall Kopien. Die Leute reagierten sehr positiv: Es ist, als ob ich Aspekte der ägyptischen Realität gezeigt hätte, die die Leute normalerweise nicht sehen, und das bewegte sie sehr. Ich habe keinen rosa Blick, aber der Film zeigt auch die Hoffnung, die Energie der Frauen; Ägypten befindet sich nicht nur in einer katastrophalen Situation, sondern es gibt auch diese Frauen. Der Geist der Freundschaft ist wunderbar. Wenn es diese Frauen gibt, wird es auch andere geben.«
(Tahani Rached)
The Protagonists
Amina Rachid is a professor of comparative literature at the University of Cairo. A leftist militant and a non-practising moslem since her youth, she worked for a decade at the national research centre in Paris (CNRS) and returned to Egypt at the end of the 70s. She is editor-in-chief for ‘Nour’, a literary journal devoted to the work of Arab women.
Safynaz Kazem left Egypt in 1961 to study in the United States of America and stayed for 5 years. A devoted Moslem who wears the veil and advocates the strict application of Sharia (Islamic law). She works as a writer, theatre critic and journalist. Recently, she published an essay on the roots of her writing.
Shahenda Maklad is a leader of the agrarian revolution and the struggle for peasants’ rights following the assassination of her husband, whom she succeeded. A practising Muslim, she has run for election three times.
Wedad Mitry is a retired teacher, trade-unionist and campaigns for the rights of women. She was particularly active in the fight for the right of women to vote. She is a practising Copt.
Tahani Rached wurde 1947 in Kairo geboren und studierte zwei Jahre an der Kunsthochschule in Montréal, bevor sie in verschiedenen Gemeindeorganisationen arbeitete. Seit 1973 hat sie über 20 Dokumentarfilme gedreht. Seit 1981 arbeitet sie für den National Film Board of Canada.
Filme u.a.: LES FRERES ENNEMIS (1979); BEYROUTH! A DEFAUT D’ ETRE MORT (1983); HAITI. QUEBEC (1985); MEDECINS DE COEUR (1993)