Von Kerstin Kilanowski und Andrea Wenzek
‘Meister des Wortes‘ oder ‘Hüter der Geheimnisse’ werden die Griots genannt. Um ihre Person (in den Mande-Sprachen ‘Djeli’) ranken sich Mythen und Legenden. Der Griot ist beliebt und gefürchtet zugleich. Die Berühmtesten waren in alten Zeiten Berater am Königshof, Bewahrer der Heldenepen und ausgleichende Vermittler zwischen den Entscheidungen der Herrschenden und dem Volk. In allen vorkolonialen Reichen der westafrikanischen Savanne hatten die Griots diese Rolle inne.
Die Griots der Mande-Gesellschaften fühlen sich jedoch als die Meister ihrer Zunft; die vom Klan der Koujaté betrachten sich als die Könige der Griots. Der Überlieferung nach stammte der erste Griot von den Koujaté ab, aus einer Zeit vor der Gründung des Großreiches Mali (vor 1230). Die Koujaté waren die direkten Berater von Soundjata, dem Gründer des Reiches. Das Heldenepos Soundjata ist das bekannteste und beliebteste Vortragswerk der Mande-Griots. Soundjata war ein entschlossener Feldherr, der miteinander verfeindete Stämme einigte und den Grundstein für eine blühende Epoche legte. Er ist auch heute noch ein Synonym für Tapferkeit, Klugheit und Mäßigung - vorbildliche Eienschaften für die Mande. Auch wenn der Griot in seinen Gesängen und Vorträgen auf aktuelle Fragen und Konflikte eingeht, er wird immer wieder auf Soundjata zu sprechen kommen. Seine Vortragsweise variiert stark. Es liegt in der Kunst des einzelnen Griots, wie er seine Worte setzt, wo er seiner Erzählung retadierende Momente hinzufügt - welche Ereignisse er besonders betont.
Den Beruf des Griots kann man nicht wählen, man wird in ihn hineingeboren. Die Mande-Gesellschaft ist hierarchisch in kastenähnliche soziale Gruppen gegliedert. Die Griots geben ihr Wissen über den Bau und das Spiel von Musikinstrumenten und die Sanges- und Rezitierkunst seit Generationen weiter. “Wenn man einen Griot sieht, so muß man ihm etwas geben”, heißt es. Er hat deshalb den Ruf, “immer zu nehmen und nie zu geben”. Die Eigenschaft des ‘Nehmenden’ haftet dem Griot seit seiner Geburt an, sie ist nichts ehrenrühriges. Sie äußert sich heutzutage zum Beispiel noch darin, daß wenn der Griot auf einem Fest den Namen eines Gastes positiv erwähnt, dieser dazu verpflichtet ist, dem Griot seine Dankbarkeit mit einem Geldgeschenk zu erweisen. Das enorme tradierte Wissen der Griots, welches von ihnen seit Generationen weitergegeben wird, geht langsam verloren. Nicht etwa weil der Beruf des Griots im Verschwinden begriffen wäre, sondern weil man mit dem Singen von Heldenepen und dem Rezitierten von Genealogien heute kaum noch Geld verdienen kann. Die jüngeren Griots kaufen sich, soweit ihnen die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, Mikrophone, um die Vorträge lärmender zu gestalten. Oder sie statten ihre Musikgruppen mit einer elektrischen Gitarre aus (auf Kosten afrikanischer Instrumente) und spielen damit zu großen einträglichen Festlichkeiten auf. Djeli SidikiYayo sagt: “Es gibt keine vornehmen Leute mehr, für die es sich lohnt Preislieder zu singen. Die Kunst des Griots verkommt zur Prostitution.”
Einzelne berühmte, überregional bekannte Griots haben noch Gelegenheit mit ihrer alten Vortragskunst Geld zu verdienen. Diese Vorträge sind bestimmt für einen Mäzen, der den Griot zu sich bestellt. Der Griot seinerseits wird die Genealogie seines Auftragsgebers zum Besten geben, auf gute Taten seiner Vorfahren hinweisen und die Geschichte seiner Familie erzählen. Es ist die Aufgabe des Griots, seinem Mäzen zu schmeicheln, ihn zu preisen und ihn dadurch zu einer vorbildlichen Lebensweise anzuhalten. Der Mäzen entlohnt den Künstler dafür im Idealfall reichhaltig. Es gibt Fälle in Westafrika, in denen der Griot mit einer Reise nach Mekka oder einer Villa bezahlt wird. Ein gut vorgetragenes Preislied fördert das Ansehen des Mäzen in seinem Ort; er entlohnt den Griot deshalb so großzügig, weil er durch diese Preisung seinen politischen Einfluß auf die Geschicke des Ortes steigern kann.
Griots haben gewisse Freiheiten, die andere Mitglieder westafrikanischer Gesellschaften nicht haben. Sie haben das Recht in ihren Vorträgen und Liedern nicht nur ihre Klientel zu rühmen, sondern auch zu schmähen, zu spotten und zu lästern - auch deshalb ist der Griot gefürchtet.
Griots, deren Lieder sich durch besonderen Witz auszeichnen, können heute durch die Verbreitung von Musikkassetten und das Radio zu nationalen Berühmtheiten werden. Djeli Sara Koujate z.B. hat sogar unter dem diktatorischen Regime Lansana Kontes die “Freiheit” regimekritische, den Staat lächerlich machende Lieder zu singen.
Im Gegensatz dazu stehen die Griots einfacher Dörfer. Sie spielen mit ihren Instrumenten immer noch zu den traditionellen Festen auf, oder sie feuern die Bauern mit ihren Trommelrhythmen zur Feldarbeit an. Viele von ihnen wandern in die Städte aus, da sie nicht dazu berechtigt sind, Land zu bearbeiten und die verarmten Dorfgemeinschaften sie nicht mehr ausreichend entlohnen können, sodaß ihr Überleben gesichert wäre. In der Stadt sind sie der Konkurrenz vieler anderer Griots ausgesetzt, die eifersüchtig um die Gunst der Kunden buhlen. Nur Griots dürfen Musikinstrumente zur Hand nehmen, sie gehören zu ihrer Kunst und zu ihrem Handwerk. Das kunstvoll gesprochene oder gesungene Wort kann von verschiedenen Instrumenten begleitet werden. Der Griot spielt entweder selbst eines der Instrumente oder wird von anderen Musikern begleitet. Oft wird er von einer seiner Ehefrauen, einer ‘Griotte’ (Djeli Musso), die seine Worte singend kommentiert, begleitet. ‘Griottes’ dürfen, außer der ‘Karmya’ - ein metallenes Perkussionsinstrument, das den Gesang rhythmisch akzentuiert - keine Instrumente spielen. Manche von ihnen sind heute große Sängerinnen, deren Lieder über Fernsehen, Videos, Radio und Kassetten in ganz Westafrika verbreitet werden. Neben verschiedenen Arten von Trommeln ist eines der wichtigsten Instrumente das Balaphon, ein hölzernes Xylophon mit Kalebassen als Resonanzkörpern.
Eine Geschichte erzählt, daß der König Soumaoro Kante ein riesiges Balaphon in seinem Turm versteckt hielt. Mit dem Musikinstrument konnte er magische Kräfte heraufbeschwören, mit denen er seinen Gegenspieler Soundjata, den schon bekannten Gründer des alten Reiches Mali, attackierte.
Das Bolon ist eine einfache Baßharfe und war früher das Musikinstrument, mit dem die Griots in den Krieg zogen. “So wie Ihr in Europa beim Klang einer Fanfare an Soldaten denkt, assoziieren wir in Guinea das Bolon mit dem Krieg”, sagt Djeli Sara Koujate.
Königin aller Instrumente ist die Kora, eine 21-saitige Stegharfe. So wie der Griot seine Worte kunstvoll setzt und damit eine ganz bestimmte Atmosphäre schafft, wird der geübte Hörer die Nuancen des Kora-Spiels unterscheiden können. Die Kora ’spricht’, sie ist kein Instrument für Tanz oder Unterhaltung. Normalerweise schafft der Griot mit der Kora einen Dialog, eine intime Atmosphäre, in der er bestimmte Situationen kommentiert.