von Andrea Wenzek
Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich 1989 afrikanischen Masken in Burkina Faso begegnete: Durch die ethnologische Literatur dementsprechend vorbereitet, stand ich den tanzenden und mit Peitschen knallenden Masken zunächst ehrfürchtig gegenüber, mußte aber feststellen, daß für die Bevölkerung in der Großstadt die “Maskensaison” mittlerweile einen Karnevalscharakter angenommen hatte. Kinder provozierten die Maskentänzer, sie mit der Peitsche schwingend, durch die Straßen zu jagen. Ich war richtig enttäuscht, dachte ich doch, der Respekt der Bobo vor ihren Masken würde sie ängstlich erschauern lassen.
Die Masken sind nicht nur für Europäer mythenumrankt, sondern auch für die ”maskenlosen” Nachbarethnien: Gesagt wird, sie seien außerordentlich gefährlich, stellten sie doch eine Bindeglied zum Ahnenreich her, von dem auch das diesseitige Leben der Menschen kontrolliert werde. Für Frauen seien Kenntnisse über die Masken absolutes Tabu. Auch sei es sehr gefährlich, die Träger der Masken identifizieren zu wollen. Der Aufenthaltsort der Masken sei geheim, sowie auch die Herstellung derselben. Die Mitglieder der Maskengesellschaft seien eine verschworene Gemeinschaft, denen man möglichst nicht zu nahe treten sollte.
Dies sind Verallgemeinerungen, die für einige ethnische Gruppen gültig sind, für andere wiederum nicht. Als ich das erste Mal mit den Masken der Nunuma in Burkina Faso in Berührung kam, war ich erstaunt, daß ich als Frau überhaupt dazu eingeladen wurde, mir die Masken außerhalb der “Tanzsaison” anzusehen. Ich durfte feststellen, daß sogar eine Frau den Vorstand einer Maskengesellschaft inne hatte, und daß die Gattinnnen der Mitglieder unserer Konversation über die Masken gelangweilt zuhörten. Der Aufenthaltsort der Masken sei auch allen Dorfbewohnern bekannt, und die Maskentänzer des Ortes legten es sogar darauf an, hinter ihrer Verkleidung erkannt zu werden, denn mit einer herausragenden Tanzdarbietung kann man durchaus auch Mädchen und Frauen beeindrucken.
Und doch: Als ich den Vorsteher einer Marka-Maskengesellschaft um ein Interview anfragen ließ, erntete ich eine entrüstete Absage. Die Masken umgebe so ein Geheimnis, daß es einer Gotteslästerung gleichkäme, überhaupt darüber zu sprechen.
Dies ist das entscheidende Stichwort: Die Masken umgibt ein Geheimnis. Sogar christianisierte oder islamisierte Westafrikaner, die an den Maskenkulten nicht mehr unmittelbar teilnehmen, fürchten eine eventuelle zukünftige “maskenlose Zeit”. Oft finanzieren sie heimlich die Durchführung der Maskenkulte - meist die annualen Toten, Fruchtbarkeits- und Erntedankfeste, sowie Feste mit besonderen Masken in größeren zyklischen Abständen , oder nehmen sogar offen an ihnen teil. Sie wissen, daß mit dem Fehlen der Maskenkulte eine wichtige afrikanisch verwurzelte Verbindung zu den Ahnen abgeschnitten würde. Wie kann gewährleistet werden, daß ohne den Schutz der Ahnen, die alljährlich durch die Auftritte der Masken geehrt werden, das Dorf oder seine oft in mehreren Erdteilen verstreuten Bewohner ohne weitreichende Komplikationen überleben können? In dem Dorf Tchériba in Burkina Faso wurde mir folgende Geschichte dazu erzählt: Als vor Jahrzehnten afrikanische ”Antiquitätenhändler” im Auftrag von Museen und Kunstsammlern durch die Dörfer zogen, um alle erdenklichen Objekte, Hauptsache sie sind alt genug, aufzukaufen, ließ sich auch der Vorsteher einer Maskengesellschaft dazu verleiten, die bedeutenste Maske seiner Lineage heimlich zu verkaufen. Er gab vor, die Maske sei gestohlen worden. Kurze Zeit später konnte man die Maske, öffentlich ausgestellt im Historischen Museum in Ouagadougou, betrachten. Aber, so der Erzähler, die Maske habe sich schon vor der Entdeckung der Missetat gerächt: Der Maskenchef erblindete und wurde taub. Nach und nach ereilten seine Lineage mehrere Unglückfälle.
Die Entweihung der Masken haben mehrere Filme, die wir zu diesem Thema für das ‘Film Forum’ zusammengestellt haben, zum Inhalt. So sind Alain Resnais und Chris. Marker in LES STATUES MEURENT AUSSI in die Museen gegangen, um die ”Geburt” afrikanischer Kunst als Kunstgegenstand und deren gleichzeitige Entweihung als sakrales Objekt zu kommentieren. Ilisa Barbash und Lucien Taylor gehen in IN AND OUT OF AFRICA noch weiter: Sie beobachten die internationalen Verstrickungen des modernen Kunsthandels mit afrikanischen Objekten.
Sicherlich ist es einfacher die Entweihung eines Geheimnisses auf Zelluloid zu bannen, als die Aura um das Geheimnis selbst. Im Spielfilm TANOWE DES LAGUNES des Ivorers Sijiri Bakaba erahnen wir etwas davon: Der amerikanische Freund des Protagonisten filmt mit der Videokamera unerlaubterweise eine Maske; er muß eine Kuh als Opfer schlachten lassen, um die Entweihung der Maske rückgängig zu machen.
Welche religiösen Funktionen haben Maskenkulte in einer afrikanischen Gesellschaft? Dieser Frage geht Jean Rouch in seinem Klassiker AMBARA DAMA bei den Dogon in Mali nach.
Gerhard Kubik gehört zu den wichtigsten Erforschern der Maskenkulturen im bantusprachigen Afrika. Er stellt uns Kurzfilme von Maskenauftritten in Angola und Malawi vor, Regionen, deren Masken bisher noch nie filmisch dokumentiert wurden. Auch Guy le Moal, einer der großen Kenner des westafrikanischen Maskenwesens, zeigt uns dokumentarische Kurzfilme über die Herstellung zweier verschiedener Maskentypen bei den Bobo-Fing in Burkina Faso.
Jean-Paul Colleyn versucht sich dem Mythos der westafrikanischen Maske in seinem neuesten Film SECRETS D’INITIÉS vergleichend anzunähern. Aus den unterschiedlichsten Kulturen benutzt er Filmmaterial, um gerade die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Maskentraditionen herauszustellen.
Der Filmemacher Flora Gomez aus Guinea-Bissau erzählt in seinem fiktionalen Kurzfilm LE MASQUE, wie sich die Maske in seiner Bedeutung auch ändern kann: Die Einwohner aller Viertel in der Stadt fiebern dem Karneval entgegen. Jedes Jahr werden in einem Wettbewerb neue Masken für den großen Auftritt geschaffen. Die Masken umrankt kein religiöses Geheimnis mehr, dafür aber das Geheimnis ihres Aussehens. Die Gruppen, die an der Konkurrenz teilnehmen, spionieren sich gegenseitig aus, um möglichst die schönste und sensationellste Maske zu präsentieren.