von Barbara Lüem

Als Robert Flaherty 1920 seinen beiden Inuit-Protagonisten Allakariallak und Nuvalinga in der kanadischen Arktis jeweils die bereits entwickelten Rollen zu seinem Film NANOOK OF THE NORTH vorführte und mit ihnen das weitere Vorgehen besprach, da hat er sich in ein Projekt eingelassen, das wir heute auf die Kategorie der “community based film und video projects” einordnen würden. Die Idee, Filmprojekte in Zusammenarbeit mit der gefilmten Gemeinschaft durchzuführen, ist also so alt, wie der ethnographische Film selbst, und ebenso alt sind die Diskussionen in der Akademikergemeinschaft über die Probleme, die sich ergeben, wenn die Filmcrew und die am Projekt beteiligten Ethnologen ihre gestalterische Autorität mit den zu Filmenden teilen und die eigene technische Überlegenheit abbauen. Plötzlich wird es schwierig, die oft geforderte Objektivität zu definieren, und die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilmen verschwimmen. Jede Zusammenarbeit zwischen den Filmenden und den Gefilmten bringt unweigerlich eine mehr oder weniger bewußte Selbstdarstellung mit sich, und es taucht die Frage auf, an welches Publikum sich die Filme oder Videos richten sollen. Brisant wird diese Frage im Falle des ethnographischen Films, wo die Sehgewohnheiten des westlichen Publikums in den Hörsälen oder am TV daheim oft so unterschiedlich sind von denjenigen der lokalen Bevölkerungsgruppe, daß ein für beide Seiten akzeptabler Kompromiß schwierig wird.
Für puritanische Kritiker aus den Lagern der Ethnologie und der Cinéasten sind Produkte einer solchen Zusammenarbeit ‘gestellt’ und nicht ‘echt’ oder ‘authentisch’.

Diese Probleme hatten die Bürgerbewegungen nicht, die in den 60er und 70er Jahren in England das neue Medium nutzten, um unterprivilegierte Gemeinschaften zu mobilisieren und an den größeren gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen teilhaben zu lassen. Diese “community based video projects” wollten nicht objektiv sein, sie hatten klare politische Ziele. Die Gemeinschaft filmte für sich selbst, und das Projekt als solches war wichtiger als die Ästethik des Resultates.

Der Begriff aus jener Zeit ist geblieben und hat vorläufig keine deutsche Übersetzung gefunden, aber vor allem in der ethnologischen Diskussion ist er erweitert worden und schließt alle Videoprojekte mit ein, in denen Ethnologen in Zusammenarbeit mit der lokalen, betroffenen Gemeinschaft zusammenarbeiten. Wir wollen ihn noch ein Stückchen erweitern und neben Video- auch Filmprojekte miteinbeziehen, die irgendeine Form der Zusammenarbeit zwischen Filmenden und Gefilmten beinhalten. Über die Tatsache der Zusammenarbeit hinaus, sagt der Begriff aber nichts über deren Art oder Intensität aus.

Geändert hat sich dagegen die Einschätzung der Problemkreise, die sich bei diesen Projekten ergeben. Die Art der Selbstdarstellung, Fragen der Objektivität und unterschiedlicher Sehgewohnheiten, sowie die Reaktionen der verschiedenen kulturellen Gemeinschaften auf die neuen Medien und Technologien werden nur noch selten als Hindernisse betrachtet, vielmehr sind sie ins Zentrum des Interesses der ‘Visuellen Anthropologie’ gerückt.
John Adair und Sol Worth waren ziemlich einsame Pioniere, als sie 1966 eine Gruppe von Navajo-Indianern in die Geheimnisse von 16mm-Kamera und Schneidetisch einweihten und ein Projekt starteten, aus dessen Verlauf sie sich Aufschlüsse über Zusammenhänge zwischen Kultur, Sprache, visueller Wahrnehmung und Umgang mit neuen Technologien versprachen.

Heute, knapp 30 Jahre später, sind diese Fragen der interkulturellen Kommunikation im Zusammenhang mit dem weltumspannenden Einfluß des Satelliten-TV und des visuellen ‘Global Village’ von brennendem Interesse, sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Politik. Und nicht selten gehen die Interessen ineinander über und werfen neue Probleme auf.

So haben z.B. die arktischen Inuit und die Aborigines in Australien begonnen, eigene TV Sendungen für ihre eigenen Leute zu produzieren und zu senden. Sie haben die Kontrolle über Technologie und Inhalt des neuen Mediums ganz übernommen. Sie stärken damit u.a. ihr eigenes Gruppenbewußtsein und grenzen sich gleichzeitig kulturell vom nationalen und internationalen Umfeld ab. Und während diese Entwicklung einigen Politikern ein Dorn im Auge ist, wird sie von Ethnologen und Vertretern der Kommunikationswissenschaft mit Interesse verfolgt. Diese beiden Bewegungen, bei denen Einheimische die ganze Kontrolle über das neue Medium übernommen haben, stehen am extremen Ende einer ganzen Skala von möglichen Arten der Zusammenarbeit. Ein anderes Beispiel ist das Minto-Projekt von Curt Madison. Seit bald 20 Jahren arbeitet er mit einer Gemeinschaft von Athabasken in Alaska zusammen und produziert in ihrem Auftrag Videofilme über Aspekte des kulturellen und sozialen Alltages, die sie für ihre Nachkommen dokumentiert haben möchten. Die Bewohner und Bewohnerinnen der Gegend um Minto bestimmen zwar den Inhalt und zu einem gewissen Grad die Form der von ihnen gewünschten Videoproduktionen, die Kontrolle über die Technologie liegt bis heute aber ganz beim Außenseiter Curt Madison.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich im Falle der Kayapo-Indianer im brasilianischen Regenwald. Sie gerieten, nachdem sie zuerst im Interesse des Ethnologen Terence Turner standen, in den Fokus eines BBC-Filmteams, das eine Serie “klassischer” Dokumentarfilme über diese Gruppe drehte. Aus diesem ersten Kontakt mit dem visuellen Medium Film ist eine eigentliche Bewegung geworden. Die Kayapo haben, begleitet durch Terence Turner, gelernt, mit Videocameras und Schneidegeräten umzugehen und das Medium für ihre eigenen, politischen und kulturellen Ziele einzusetzen. Sie begannen, ihre Rituale für sich und ihre Nachkommen zu dokumentieren und legten ein eigenes Archiv an. Die Kayapo haben aber auch sehr schnell erkannt, daß sie sich mit Hilfe der Video-Technologie in die nationalen und internationalen Medienprozesse der Meinungsbildung einfädeln können, und sie tun dies mit Bravour. Seit ein paar Jahren sind Nachbarstämme ihrem Beispiel gefolgt. Die Entwicklung hat aber nicht nur Sonnenseiten. So erfolgt zum Beispiel die Einführung der neuen Technologien nur in Ausnahmefällen entlang traditioneller Machtstrukturen, und nicht selten entstehen zwischen den meist jüngeren Videospezialisten und den traditionellen Führern der Gemeinschaft Spannungen, die deren Stärke mehr untergraben als stützen. Es stellt sich aber auch die Frage nach der Verantwortung des Ethnologen in diesem Prozess.

Jayasinhji Jhala und Rajkumari Roy sind beide sowohl Filmschaffende als auch ethnologisch ausgebildet. Durch ihre unterschiedliche ethnische Herkunft sind sie in ihrer Zusammenarbeit ganz persönlich mit den komplexen Problemen der zwischenkulturellen visuellen Kommunikation konfrontiert. Diese Betroffenheit schlägt sich sowohl in ihrem filmischen Schaffen als auch in ihren Publikationen zur Theorie der visuellen Kommunikation und über die Rolle und die Einflüsse von Film und Video in der indischen Gesellschaft nieder.

(Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe Nigg, Heinz “Community media. Video, local TV, film, and photography as tools for community communication.”, Zürich, ropress:1980.
Worth, Sol und John Adair, “Through Navajo Eyes”. Indiana University Press:1972)