Überall auf der Welt versetzen Globalisierung und ökonomische Zwänge Menschen in Bewegung. Gerade in westlichen Gesellschaften gilt Mobilität als Wert und Norm gleichermaßen. Den ‚Mobilitätseliten’, die ihre uneingeschränkte Bewegungsfreiheit genießen können, steht jedoch die Masse der Migranten gegenüber, die unter schwierigsten Bedingungen oftmals geschlossene Grenzen überwinden müssen. Für sie ist Bewegung eine Frage des Überlebens. In vielen Ländern existiert das Phänomen der Wanderarbeiter, die auf der Suche nach Lohn saisonalen Beschäftigungen in weit entfernten Regionen nachgehen. Die Flucht vor Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit lassen Menschen aber auch große Distanzen überwinden, um auf einem anderen Kontinent bessere Lebenschancen zu suchen.

Unser Programm thematisiert sowohl die innerstaatliche als auch die transnationale Migration. Zwei Dokumentarfilme portraitieren chinesische Wanderarbeiter. RAILROAD OF HOPE begleitet Landarbeiter aus Sichuan auf ihrer 3000 Kilometer langen Zugfahrt zur Baumwollernte in Xinjang. Im Mittelpunkt stehen die Schwierigkeiten der Reise: Das Anstehen um Fahrkarten, der Kampf um einen Platz im Zug, das Durchhalten in der Enge der Abteile, aber auch die Gespräche der Reisenden über ihre Ängste und Hoffnungen. VON IRGENDWO NACH NIRGENDWO dokumentiert die Arbeit des Schweizer Fotografen Andreas Seibert, der mehrere Reisen durch China unternommen hat, um Wanderarbeiter zu portraitieren. Der Fotograf nimmt sich viel Zeit, um sich seinen Protagonisten zu nähern und sich auf die Schicksale und Wünsche der einzelnen Individuen einzulassen. In Gesprächen zwischen dem Filmemacher Villi Hermann und Andreas Seibert wird dessen sensibel beobachtende Arbeitsweise reflektiert.

Flüchtlinge und Arbeitsmigranten aus Afrika, die sich auf den Weg nach Europa machen oder dort schon angekommen sind, stehen im Fokus der drei Filme MIRAGE, EL EJIDO und MIMOUNE. MIRAGE zeigt, wie für viele die Reise beginnt. Zusammengedrängt auf der Ladefläche eines klapprigen Lastwagens treten junge Männer die beschwerliche Fahrt durch die Sahara an: schlechte Pisten, vor Hitze flirrende Luft, nächtliche Kälte und alles durchdringender Sand. Niemand weiß, wohin ihn die Reise führen wird, und so beschränkt sich auch der Film darauf, unter Verzicht auf alle Dialoge die Bilder dieser Fahrt durch die Wüste sprechen zu lassen.

EL EJIDOTHE LAW OF PROFIT dokumentiert nüchtern und ohne zu moralisieren die unmenschlichen Lebensbedingungen afrikanischer Immigranten an der andalusischen Mittelmeerküste. Durch ihren Status als ‚Illegale’ aller Rechte beraubt, werden sie als billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ausgebeutet, ohne sich gegen die Arbeitsbedingungen in den Treibhäuser und die unerträglichen Wohnverhältnisse in provisorischen Baracken zur Wehr setzen zu können. Ein Immigrant sagt im Interview, er hätte nie gedacht, dass man in Europa so leben könne – man würde glauben, man wäre im Tschad.

Der Kurzfilm MIMOUNE führt für einen kurzen Augenblick eine marokkanische Familie zusammen. In einer Art Videokonferenz sehen sich der seit Jahren in Spanien arbeitende Vater und die übrigen Familienmitglieder erstmals wieder. Die wenigen Minuten der virtuellen Begegnungen lassen hinter den formelhaften Aussagen und Begrüßungsfloskeln den Trennungsschmerz und die Härte der jeweiligen Existenzen spürbar werden.
Neriman Bayram