Am Beispiel einer lokalen schamanischen Tradition des Himalaya, jener der Nördlichen Magar in der Nähe des Dhaulagiri-Massivs, zeigt der Film, welche Landschaften in den nächtlichen Ritualgesängen der lokalen Heiler abgerufen werden. Es handelt sich dabei ausschließlich um reale geographische Orte, die der Sänger von den jährlichen Treks mit den Schafen oder von den gewöhnlichen Handelsrouten her kennt. Die besungenen oder aufgezählten topographischen Namen sind zugleich Orte möglicher transzendenter Begegnung: mit den Geistern, die dem Patienten des Heilers eine Seele geraubt und ihn so ins Unheil gestürzt haben. Aufgabe des Heilers ist es, an jedem der abgerufenen Orte nach der entfleuchten Seele zu suchen und ihrer vor dem Erreichen einer markanten Grenze habhaft zu werden: dem Jenseitspass. Dies ist eine Art der rituellen Reise. Bei einer zweiten wird eine Ursprungsgeschichte in Szene gesetzt, in deren Verlauf zwei mythische Protagonisten, ein verwaistes Mädchen und ein Wildschwein, eine Reise in die Unterwelt unternehmen, um dorthin abgestürzte Menschenseelen zu befreien und in die irdische Welt zurückzuführen. Auch in diesem Falle führt die Reise durch vertraute geographische Landstriche; selbst das Reiseziel, die Unterwelt, wird mit einer realen Landschaft gleichgesetzt: dem Tiefland an der indischen Grenze. Der Film kombiniert Luftbilder dieser Landschaften, aus einem Helikopter gedreht, mit den nächtlichen Gesängen des Schamanen im Hause seines Patienten.
Im Anschluss an den Film::
WERKSTATTGESPRÄCH
Michael Oppitz und Frank Heidemann, Institut für Ethnologie der Universität München
Das Werkstattgespräch mit Michael Oppitz wird am Beispiel seiner Schamanenfilme zentrale Fragen der ethnologischen Dokumentation thematisieren. In welchem Verhältnis stehen Dokumentation und Interpretation zueinander und wie wirkt sich dieses auf die filmische Praxis aus? Wie kann durch „Die Kunst der Genauigkeit“ – so ein Buchtitel von Oppitz – der Gefahr einer Stereotypenbildung, der kulturellen Festschreibung und des Essentialismus entgegengewirkt werden. Wie verhalten sich Wort und Handlung im nichtfilmischen Kontext und im Medium Film zueinander? Wo liegen die Grenzen des Erfahrbaren und des Dokumentierbaren?