DOON SCHOOL CHRONICLES

Die Doon Schule befindet sich in der indischen Stadt Dehra Dun im Bundesstaat Uttar Pradesh. Sie ist Indiens berühmteste Internatsschule für Knaben und wird öfters als »das Eton Indiens« bezeichnet. Die Internatsschule wurde in den 30er Jahren durch eine Gruppe indischer Nationalisten gegründet, um eine neue Führungsgeneration heranzubilden, die die Nation nach der Unabhängigkeit führen helfen sollte. Sie hat die Heranbildung einer neuen indischen Elite beeinflusst und ist zur Verkörperung bestimmter Aspekte des postkolonialen Indiens geworden. 

DOON SCHOOL CHRONICLES ist der erste Film einer fünfteiligen Studie über die Internatsschule. Gedreht über einen Zeitraum von zwei Jahren, beobachtet er das Leben der indischen Knaben aus der Mittelschicht, die unter den Einfluss institutioneller, nationaler und globaler Zwänge während ihres Heranwachsens geraten. Der Film untersucht »soziale Ästhetik« und Ideologie der Doon Schule am Beispiel ihrer Rituale und jener physischen Umgebung, die sie geschaffen hat, und diskutiert die Auswirkungen, die sie auf einzelne Jungs unterschiedlichen Alters und Temperaments hat. Der Film ist in ‘zehn Kapitel’ gegliedert, und jedes wird durch einen Textpassage eingeleitet, die Schulschriften entnommen wurden. 

LORANG’S WAY

LORANG’S WAY ist ein Portrait von Lorang, dem Patriarchen des größten Gehöftes der halbnomadischen Turkana im nordwestlichen Kenia. Zu jener Zeit, als der Film gedreht wurde, dachten die Turkana (einschließlich des Sohnes von Lorang), dass ihre Lebensweise auch in Zukunft unverändert bleiben würde. Lorang sah dies anders, denn er war zu den King’s African Rifles eingezogen worden und hatte dadurch die Welt kennen gelernt. Nach seiner Rückkehr war es sehr schwierig für ihn, mit den Männern seiner Altersgruppe hinsichtlich Wohlstand und gesellschaftlicher Stellung gleichzuziehen. Der Film liefert die Studie jenes Mannes, der die Verletzlichkeit seiner Gesellschaft erkannte und dessen traditionelle Rolle durch diese Erkenntnis geprägt wurde. 

THE ART OF REGRET

In ihrem brilliant beobachteten Dokumentarfilm untersucht die bekannte visuelle Anthropologin Judith MacDougall die digitale Revolution in China. Fotografie gilt hier als Kunst, die mit ‘Bedauern’, ‘Schmerz’ und ‘Trauer’ verbunden ist: als „art of regret“.
In Kunming, einer rasant sich verändernden Großstadt, sind sich die Leute nicht sicher, ob sie in der Fotografie ein Medium der Bewahrung und Beglaubigung sehen wollen oder eines der Veränderung und der Fantasie. Im digitalen Zeitalter kann alt in jung verwandelt werden; jeder kann sich schöner machen als er ist. Während sie in den Fotoshops der Kaufhäuser ihre computergenerierte Verschönerung genießen, schätzen die Einwohner Kunmings aber gleichzeitig auch die alten fotografischen Ansichten ihrer Stadt aus der Zeit vor deren Veränderung. Durch die Kulturrevolution wurden zahllose Fotos vernichtet: Erinnerungsmaterial, das unwiederbringlich verloren ist.
Im heutigen China entgeht niemand der Frage, wie Geschichte, Realität und materielle Kultur zu betrachten sind. THE ART OF REGRET ist eine ebenso tiefgründige wie wegweisende Meditation über den Gebrauch von Fotografie und Bildproduktion in einer Kultur, wo alles in Veränderung begriffen ist. 

Judith & David MacDougall wurden in den USA geboren. Nach dem Universitätsabschluss am Beloit College und der Harvard Universität studierten sie an der Universität von Kalifornien (UCLA) in Los Angeles Film. Im Rahmen eines neu eingerichteten, ethnografisch orientierten Filmprogramms begannen sie, sich mit der Visuellen Anthropologie zu beschäftigen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich eine über Jahrzehnte währende, sehr innovative wie produktive Auseinandersetzung mit der Visuellen Anthropologie. Beide leben heute in Australien. 

Filme von Judith MacDougall: DIYA (2001), THE ART OF REGRET (2007).
Filme von David MacDougall: J. LEE THOMPSON: DIRECTOR (1967), MAN LOOKS AT THE MOON (1970), KENYA BORAN (1974), GOOD-BYE OLD MAN (1977), TO GET THAT COUNTRY (1978), LINK-UP DIARY (1987), TEMPUS DE BARISTAS (1993), DOON SCHOOL CHRONICLES (2000), WITH MORNING HEARTS (2001), KARAM IN JAIPUR (2003), THE AGE OF REASON (2004), SCHOOLSCAPES (2007), GANDHI’S CHILDREN (2008).
Filme Judith & David MacDougall: INDIANS AND CHIEFS (1967), IMBALU: RITUAL OF MANHOOD OF THE GISU OF UGANDA (1989), NAWI (1970), TO LIVE WITH HERDS (1972), UNDER THE MEN’S TREE (1974), THE WEDDING CAMELS (1977), LORANG’S WAY (1979), FAMILIAR PLACES (1980), THE HOUSE-OPENING (1980), PHOTO WALLAHS (1981), TAKEOVER (1989), A WIFE AMONG WIVES (1981), THREE HORSEMEN (1982), STOCKMAN’S STRATEGY (1984), COLLUM CALLING CANBERRA (1984), SUNNY AND THE DARK HORSE (1986), A TRANSFER OF POWER (1986).

GANDHI’S CHILDREN

Das ‚Praya’s Children House’, architektonisch ein monolithischer Block, der äußerlich eher einem Gefängnis gleicht, inmitten eines Armenviertels von New Delhi: hier leben 350 Jungen, die einen sind von zu Hause ausgerissen, andere sind von ihren Eltern in die Metropole geschickt worden, um zum Lebensunterhalt beizutragen, wieder andere sind Waisen, die auf und von der Strasse Delhis leben. Die Hälfte der Jungen steht unter polizeilicher Aufsicht, da sie schon mit der Justiz in Konflikt gekommen sind. 

Während vieler Monate folgt David MacDougall mit seiner Kamera diesen jungen Menschen, lässt sie ihren Alltag schildern und uns daran teilhaben. Dabei entstehen beeindruckende Porträts von Jungen, die trotz ihres teilweise erst kurzen Lebens, schon auf weitreichende Erfahrungen zurückgreifen können. Eines Tages werden 181 weitere Jungen eingeliefert, die allesamt aus einer wegen illegaler Kinderarbeit aufgelösten 53 Fabrik kommen. 

MacDougall klagt nicht an. Er nähert sich seinen Protagonisten über die Beschreibung ihres Alltags und es wird verständlich, wie sie in diese Situation gekommen sind und welche Rolle die staatliche Institution dabei hatte. Der Film zeigt auch welche Grenzen dem Kinderheim gesetzt sind. Die Kamera bewegt sich konsequent nur im Haus, durch weite Flure, Schlafräume, Wasch-und Arbeitsräume. 

David MacDougall: „Heutzutage besteht das, was wir im Fernsehen als Dokumentarfilme zu sehen bekommen, überwiegend aus Interviews und einigen anderen Einstellungen. Es ist sehr einfach, Filme zu machen, ohne zu untersuchen wie Menschen leben. Sie nur zu fragen, wie sie leben, reicht nicht aus. Diese enge Perspektive wurde meines Erachtens zu einer Art Formel des Dokumentarfilms. Zur Überwindung dieser Formel begann ich damit, nach anderen Aspekten sozialer Erfahrung zu suchen. Dabei versuche ich davon wegzukommen, alles nur mit Worten auszudrücken. Mich interessiert, wie Menschen mit ihrer Umgebung interagieren, sowohl verbal als auch nonverbal. “Soziale Ästhetik” resultiert daraus, eine Gemeinschaft als Umgebung zu betrachten, in der wir leben. Dies beinhaltet die verschiedensten Aspekte: Wie sich Menschen bewegen, wie sie ihre Gebäude bauen, welche Kleidung sie tragen, welche Rituale sie durchführen. Ich betrachte Gemeinschaften dabei als konstruierte Gesamtwerke, denen eine Autorenschaft zugrunde liegt und die historisch einem bestimmten Design folgen.“ – Auszug aus einem Interview mit David MacDougall geführt von Volker Kull (Der Kameramann 08/01).

Sweetgrass

Schafe, soweit das Auge reicht. Die Anthropologen und Filmemacher Lucien Castaing-Taylor und Ilisa Barbash haben drei Sommer lang in den Absaroka-Beartooth Mountains die Schafzucht auf einer der letzten Ranches in Familienbesitz dokumentiert. Wenn ein Schaf frisst, sehen und hören wir die Kaubewegung und die Glocke am Hals. Als es die Kamera entdeckt, friert sein Blick das Bild ein, nur der Wind ist noch zu hören. Der Originalton trägt zur Genauigkeit jeder Einstellung bei. Während der Schur können wir den Körpereinsatz des Schafhirten sowie die Benommenheit des Schafes regelrecht spüren. Die Blickanordnung im Raum analysiert das Verhältnis eines Neugeborenen zur Herde, zum Muttertier und zur Schäferin. Wenn tausende Schafe ein Gatter durchschreiten oder der Grasspur einer Futtermaschine folgen, wirkt es wie die Massenszene eines Monumentalfilms. Spätestens wenn wir auf dem Berggipfel ankommen und der unter Knieschmerzen leidende Schäfer seine Mutter anruft, muss unser Bild des einsamen Schafhirten dem des Westerncowboys weichen. Auch der raue Humor der Rancher untereinander, wenn sie ihre Handgriffe beim Branden der Tiere ausführen, erzählt eine Geschichte der freien Schafzucht im Westen Amerikas, die im 19. Jahrhundert begann und langsam zu Ende geht. (Forum Berlin)

Lucien Castaing-Taylor

1966 im britischen Liverpool geboren. Er studierte Sozialanthropologie, Philosophie und Theologie, später Visual Anthropology (u.a. bei Timothy Asch) an der University of California, Berkeley. Lehrtätigkeit an der University of Colorado, Boulder. Er gründete die Zeitschrift „Visual Anthropology Review“ und war deren Herausgeber 1991-94, wie auch für „Transcultural Cinema“ von David MacDougall (1998). Gemeinsam mit Ilisa Barbash gründete er 2006 das Sensory Ethnography Lab der Harvard University. Zurzeit leitet er das Film Study Center (mit Peter Galison) und das Lab. Gemeinsam mit Véréna Paravel realisierte er LEVIATHAN (2012).

Ilisa Barbash

1959 in New York geboren, studierte Romanistik in Vermont, dann Anthropologie an der University of Southern California. Sie arbeitet als Filmemacherin/Autorin und ist tätig als Kuratorin für Visuelle Anthropologie am Peabody Museum of Archaeology and Ethnology, Harvard University. Gemeinsam mit Castaing-Taylor gab sie „Cross Cultural Filmmaking“ (1997) und “The Cinema of Robert Gardner” (2008) heraus.

Filme (gemeinsam): MADE IN USA (1990), IN AND OUT OF AFRICA (1992). Beider Arbeiten sind in der ständigen Sammlung des MOMA, NY, und des Britischen Museums vertreten, wurden in zahlreichen Museen, Kunsthallen und Galerien ausgestellt. Ihre Filme und Videos liefen auf zahlreichen internationalen Festivals.

Podiumsgespräch

Kreative Ethnografien der Lebewesen und Dinge

Die Filme von Judith und David MacDougall können als entscheidender Bezugspunkt für die Arbeit des Sensory Ethnography Labs gelten. Der Gründer und Leiter des Labs, Lucien (Castaing-) Taylor, ist Mitherausgeber von MacDougalls „Transcultural Cinema“ (1998) und hat dazu die Einleitung verfaßt, die eine Art Rekapitulation zum damaligen Stand in der audiovisuellen Anthropologie darstellt. Mit J.P. Sniadecki ist einer der produktivsten Absolventen des Labs zu Gast in Freiburg. Im Gespräch zwischen ihm und unserem Ehrengast David MacDougall werden sich Parallelen und Differenzen der beiden Positionen anschaulich darstellen.

Es moderiert Henning Engelke, der mit „Dokumentarfilm und Fotografie. Bildstrategien in der englischsprachigen Ethnologie“ (2007) eine umfassende, aktuelle Abhandlung zum ethnografischen Film verfasst hat.

Henning Engelke tätig am Kunstgeschichtlichen Institut, Goethe-Universität Frankfurt. Seine Studie „The Art That Never Was. US-amerikanischer Experimentalfilm 1940 – 1960“ steht kurz vor der Veröffentlichung. Außerdem ist er Mitherausgeber von „Film als Raumkunst. Aktuelle Methoden und historische Perspektiven“, Marburg 2012.

Photo Wallahs

Photo Wallahs‘ sind die Fotografen von Mussoorie, einem Ort im Vorgebirge des Himalaya, das einst wohlhabende indische Prinzen und britische Gesandten anzog und heute vor allem von Touristen besucht wird. In schillernden Szenen mit Fotografen und Kunden, einheimischen Besitzern alter Fotografien und diesen Fotografien selbst zeigt der Film das Metier als Kunst und als Geschäft, als Medium der Realität, der Phantasie, der Erinnerung und des Verlangens.

Zuerst einmal und vielleicht vor allem, ist dies ein Film über die Vielfalt der Bedeutungen, die Fotos für Menschen haben können, und das betrifft viele Kulturen. Es gibt bezeichnende Unterschiede zwischen Fotografie in Indien und anderswo, aber es ist wichtig, sie nicht über zu bewerten. Es wäre falsch, indische Kultur wie auch indische Fotografie als isoliertes und einförmiges Phänomen zu betrachten. Fotografische Stilvarianten, die charakteristisch für Indien zu sein scheinen, kann man auch im Westen finden, und sicherlich beeinflusst der westliche Stil die indische Fotografie…“ (David MacDougall, Forum Berlin 1992)

Under the palace wall

Seit dem sechzehnten Jahrhundert wurde das Dorf Delwara im Süden des indischen Bundesstaates Rajasthan als Fürstentum des Königreichs Mewar regiert. Sein Palast thront noch heute auf einem Hügel oberhalb des Dorfes und ist heute ein Luxushotel  – in sicherer Entfernung zum Rest der Bevölkerung. Nachdem MacDougall mit SCHOOL SCAPES bereits in den Alltag einer Schule in Andrah Pradesh eingetaucht war, beobachtet er hier präzise und feinfühlig das öffentliche Leben eines Dorfes. Die impressionistische Komposition dieses vitalen Alltags „unter den Mauern des Palastes“  funktioniert ganz ohne verbindende Narrative oder Protagonisten. Durch die ständige Präsenz des Palastes vermittelt sich ein flüchtiges Gefühl der einstigen Geschichte des Dorfes.