Sie werden Latino/as, His­pan­ics, abfäl­lig spics, oder Chicano/as, genan­nt: die US-Amerikaner­In­nen mexikanis­ch­er und lateinamerikanis­ch­er Herkun­ft. Sie sind jetzt bere­its die zweit­größte, sie werden inner­halb der näch­sten 30 Jahre die zahlen­mäßig größte Min­der­heit der USA sein. Sie kommen als poli­tis­che Flüchtlinge aus Guatemala und El Sal­vador, sind US-amerikanis­che Staats­bürg­er wie die Puer­tor­i­caner oder waren wie die Bewohn­er des Süd­west­ens schon da, bevor die ‚Anglos’ sich im US-amerikanisch-mexikanis­chen Krieg die Hälfte des ehe­ma­li­gen Staats­ge­bi­ets von Mexiko ein­ver­leibten. Wenige Nor­damerikan­er kennen Einzel­heit­en der »Beziehungs­geschicht­en« zu ihren lateinamerikanis­chen Nach­barn. Vor kom­plexe his­torische, soziale und poli­tis­che Hin­ter­gründe schiebt sich allzu schnell das ein­för­mige Bild des armen, ille­galen Ein­wan­der­ers, des ‘wet­back’, des ‘moja­dos’, der über den Rio Grande in den Norden »ein­dringt« und wirtschaftlichen Wohl­stand bedro­ht. Den Alltag vieler Lati­nos und Lati­nas wiederum prägen Diskri­m­inierung oder Isolierung ihrer kul­turellen und sozialen Erfahrun­gen und ein Gefühl, ständig »dazwis­chen« zu leben. 

Das (Macht-)Verhältnis zwis­chen dem Selb­stver­ständ­nis und den Möglichkeit­en dif­feren­ziert­er Iden­titäten von Min­der­heit­skul­turen ein­er­seits und der Veror­tung bzw. Def­i­n­i­tion seit­ens der Mehrheit­skul­tur ander­er­seits hängt sehr stark davon ab, wie sich ihre Präsenz inner­halb der Gesellschaft zeigen kann. Diese wiederum spiegelt sich nicht zulet­zt in den Medien. Bis heute sind Latino/as und ihre Leben­sre­al­itäten im US-amerikanis­chen Fernse­hen unter­repräsen­tiert oder auf wenige Stereo­type reduziert. Latino-Schaus­piel­er können noch immer fast auss­chließlich »eth­nisch« kodierte Rollen übernehmen. In den 80er Jahren sah es nach dem großen Erfolg des Kino­hits La Bamba (Luis Valdés, 1987), der Auf­stieg und tragis­chen Tod eines Rockn’Roll Sängers mexikanis­ch­er Herkun­ft zum Thema hat, so aus, als wäre ein »His­pan­ic Hol­ly­wood« möglich. Doch konnte sich das Latino Cinema bisher noch keine so starke Posi­tion erkämpfen, wie es dem Black Cinema inzwis­chen gelun­gen ist. Dabei hat sich in den letzen 30 Jahren eine viel­seit­ige Film­pro­duk­tion, vom agi­ta­torischen Doku­men­tarfilm über Melo­dra­men, Komö­di­en und Musik­fil­men bis zum Exper­i­men­tal­film entwick­elt, die in Europa bisher kaum bekan­nt ist. Neben dem Kino der Puer­torikaner­In­nen und Kubaner­In­nen in den USA ist dabei vor allem das ‘Chi­cano Cinema’ der Mexiko-Amerikan­er bedeutsam. 

Das Latino Cinema ent­stand Ende der 60er Jahre aus der Bürg­er­rechts­be­we­gung der Mex­i­can-Amer­i­cans, der Chi­canos im Süd­west­en und Kali­fornien sowie der Puer­tor­i­caner in New York und Chica­go. Lan­dar­beit­er im Süd­west­en began­nen, sich für bessere Arbeits­be­din­gun­gen einzuset­zen. Parteien wie »La Raza Unida Party« in Texas und die »Young Lords Party« in New York wurden gegrün­det. Chi­canos, die sich bei der Stu­den­ten- und Lan­dar­beit­er­be­we­gung engagiert hatten, woll­ten Film und Fernse­hen nutzen, um die Chi­cano-Bewe­gung bekan­nt zu machen. 1969 drehte Luis Valdés mit I am Joaquín den ersten Chi­cano-Film. Basierend auf einem epis­chen Gedicht von Rodol­fo ‘Corky’ González ist er eine Ode an das mexikanisch-indi­an­is­che Erbe und die Geschichte der Chi­canos, deren leg­endär­er Ursprung in einem mythis­chen Atzlán im Süd­west­en der USA verortet wird. In den frühen 70er Jahren wurde die kali­for­nische Uni­ver­sität in Los Ange­les UCLA zum Aus­bil­dungszen­trum für die ange­hen­den FilmemacherIn­nen. Es ging darum, eigene Bilder und Diskurse zu entwer­fen und sich gle­ichzeit­ig inner­halb der Film- und Medi­enin­dus­trie einen Platz zu ver­schaf­fen. In San Anto­nio, Texas, wurde das erste Chi­cano Film Fes­ti­val als Plat­tform für die entste­hen­den Filme gegrün­det, in San Fran­cis­co taten sich FilmemacherIn­nen zur Gruppe »Cine Acción« zusam­men. Regis­seurIn­nen und zunehmend auch Filmwis­senschaft­lerIn­nen began­nen, sich mit dem Hol­ly­wood-Kino und den Latino-Klis­chees des dummen Machos oder Gang­sters bzw. der exo­tis­chen oder unter­wür­fi­gen Señori­ta auseinan­derzuset­zen. Sie woll­ten aber auch die Idee eines poli­tisch und ästhetisch alter­na­tiv­en Chi­cano-Cin­e­mas entwick­eln, das erfahrene und weit­ge­hend vergessene Geschichte und Leben­sre­al­ität der lateinamerikanis­chen Bevölkerung in den USA auf­greift. Stark­er poli­tis­ch­er Impe­tus, Zusam­men­halt und eine enorme Auf­bruchsstim­mung prägte die erste Epoche des Chi­cano Cinema in den 70er Jahren. Vor diesem Hin­ter­grund war es möglich, auch größere Spielfilm­pro­jek­te mit öffentlichen Mit­teln zu finanzieren. 

In den 80er Jahren begann eine Reihe von FilmemacherIn­nen eigene Pro­duk­tions­fir­men zu grün­den und fanden infolgedessen auch Zugang zur etablierten Fil­min­dus­trie. Durch einige große Erfolge wie STAND AND DELIVER (1988) schien der Weg für die Etablierung eines Latino Cinema geeb­net zu sein. Doch vielfach fehlte es an der geeigneten Ver­trieb­sstruk­tur und die Stu­dios waren und sind oft nicht bereit, spezielle Werbe­maß­nah­men zu entwick­eln. Zunehmend wurde auch der schwierige Spagat zwis­chen dem Wider­stand gegen die Hol­ly­wood- Main­stream-Kultur und deren Latino-Repräsen­ta­tion ein­er­seits und der Notwendigkeit, sich an ökonomis­che und inhaltliche Zwänge anzu­passen ander­er­seits, deut­lich. Beson­ders Frauen wählten deshalb häufig den Weg der kleinen, unab­hängi­gen Pro­duk­tion und das gün­stigere Format des Videos. In gen­reüber­greifend­en Arbeit­en und Exper­i­men­tal­fil­men sehen sie die Möglichkeit, sehr sub­jek­tive Entwürfe jen­seits vere­in­fachen­der sozialer und kul­tureller Zuweisun­gen, auch inner­halb der Latino-Com­mu­ni­ty, zu real­isieren. Sylvia Morales stellte schon 1979 mit ihrem Film Chi­cana eine Alter­na­tive zur männlich-ori­en­tierten Geschichtss­chrei­bung vor. Auch Lour­des Por­tillo sprengt mit ihren Filmen die Reduzierung von Latino-Kultur auf die patri­ar­chal-tra­di­tionelle Fam­i­lie. Frances Negrón Muntan­er, puer­torikanis­che Regis­seurin und Autorin, setzt in ihren Filmen Iden­tität aus unter­schiedlichen Ver­satzstück­en zusam­men. Als Puer­torikaner­in, Lesbe, Fotografin und hell­häutige Mit­telk­lasseange­hörige sucht sie nach einer filmis­chen Form, dieses Kalei­doskop adäquat umzuset­zen (BRINCANDO EL CHARCO, 1995). 

30 Jahre nach Beginn der Latino/Chicano Film­be­we­gung gibt es ein bre­ites Spek­trum von Aktiv­itäten. Film­fes­ti­vals in San Anto­nio, San Fran­cis­co und Chica­go zeigen neue Latino-Filme. Sie haben sich aber auch dem lateinamerikanis­chen Kino geöffnet, als dessen »nördlich­ste Bas­tion« das Latino Cinema auch häufig gese­hen wird. Immer mehr Kul­tur­wis­senschaft­lerIn­nen wie Chon Nor­ie­ga, Rosa Linda Fregoso und Ana López haben das Latino-Cinema als span­nen­des Tätigkeits­feld ent­deckt. Es entste­hen Großpro­duk­tio­nen wie My family (Gre­go­ry Nava 1995), die über mehrere Gen­er­a­tio­nen erzählte symp­to­ma­tis­che Geschichte einer ‘klas­sis­chen’ mexikanis­chen Ein­wan­der­erfam­i­lie und Selena (Gre­go­ry Nava 1997) – der das Leben des weib­lichen Stars der ‘Tejano-Musik’ nachvol­lzieht. Der Ver­such von Latin/as, im Show­busi­ness zu tri­um­phieren und die (ille­gale) Migra­tion sind zwei immer wieder aufge­grif­f­ene Themen in Latino-Filmen. Neben Spielfilm­pro­jek­ten gibt es aber auch eine lebendi­ge Videokul­tur, in der engagierte Doku­men­tarfilme über den Umgang mit Diskri­m­inierung und Beobach­tun­gen von in ver­schiede­nen Tra­di­tio­nen ver­wurzel­ter Volk­skul­tur entste­hen. Nach­dem mit der Reagan-Admin­is­tra­tion viele staatliche und pri­vate Finanzierungsmöglichkeit­en, die die Basis für die meis­ten Chi­cano Film­pro­jek­te waren und sind, drastisch gekürzt wurden, ist das Public Broad­cast­ing (PBS) der lokalen und nationalen öffentlichen Fernsehsender nach wie vor eine bedeu­tende Möglichkeit, Filme zu ‘Latino-Themen’ zu pro­duzieren. So arbeit­et der Regis­seur, Autor und Pro­duzent Paul Espinosa in San Diego seit über 20 Jahren für das PBS zu Themen ins­beson­dere der Gren­zre­gion. Zum 150. Jahrestag des US-amerikanis­chen Krieges real­isierte er 1998 ein ehrgeiziges mehrteiliges Pro­jekt, das diesen Kon­flikt als symp­to­ma­tis­chen Ursprung für das bis heute ges­pan­nte Ver­hält­nis zwis­chen Mexiko und den USA definiert. 

Unsere kleine Auswahl mit Schw­er­punkt auf dem Chi­cano Cinema stellt neben den bere­its erwäh­n­ten Beispie­len Filme vor, die wichtige Themen der Latino-Film­pro­duk­tion der let­zten 30 Jahre repräsen­tieren. Vielfach werden geschichtliche Ereignisse, die prä­gend für das Image, aber auch das eigene Selb­stver­ständ­nis waren, auf die Lein­wand gebracht. DIE BALLADE VON GREGORIO CORTEZ (1983) bezieht sich auf den Fall eines mexikanisch-tex­anis­chen Lan­dar­beit­ers, der Anfang des Jahrhun­derts auf­grund eines sprach­lichen Mißver­ständ­niss­es ver­fol­gt und verurteilt wird. Seine Geschichte wurde in Bal­laden, den »cor­ri­dos« besun­gen und damit für die Nach­welt erhal­ten. Der Film ist eine Mis­chung aus West­ern und Gerichts­dra­ma, die in sehr ein­drück­lich­er Weise die übliche Fig­urenkon­stel­la­tion des klas­sis­chen West­ern kon­terkari­ert. STAND AND DELIVER (1988) basiert auf dem auto­bi­ographis­chen Bericht eines Lehrers lateinamerikanis­ch­er Herkun­ft, der in den 80er Jahren an einer Schule in Los Ange­les, in einem Latino-Vier­tel unter­richtete. Es gelang ihm, den Schü­lerIn­nen soviel Selb­stver­trauen zu ver­mit­teln, daß sie trotz aller Diskri­m­inierung und Vorurteile uner­warteten Erfolg hatten. Gren­züber­schre­itung ist eine Meta­pher für das Leben der Latino/as in den USA. Die Erfahrun­gen einer syn­chretis­tis­chen Kultur, der ‘mes­ti­za­je’ als der Ver­mis­chung unter­schiedlich­er kul­tureller und sozialer Aspek­te werden deshalb immer wieder auch in Doku­men­tarfil­men aufge­grif­f­en, in der Beobach­tung von ‘außen’ und in der Suche nach den eige­nen Wurzeln. Ein­er­seits geht es um kul­turelle Resistenz wie bei der volk­stüm­lichen Fröm­migkeit im Süd­west­en der USA in MUNDO MILAGROSO (1997). Ander­er­seits sollen aber auch kul­turelle Erfahrun­gen nutzbar gemacht werden, am Beispiel der Trans­for­ma­tion mexikanis­ch­er Erin­nerungsrituale in den USA: CALAVERAS (1997).

Für manche Latino/as ist ihr Leben als ständi­ge ‚Gren­zgänger’ eine Chance, wie etwa für die Lehrererin und Filmemacherin Laura A. Simón aus Los Ange­les (FEAR AND LEARNING IN AMERICA, 1997): »Es ist wirk­lich hart, als Latina in den USA zu leben. Aber ich bin sehr glück­lich, daß ich zwei Welten in mir trage und mich sprach­lich und kul­turell zwis­chen beiden bewe­gen kann.« In seinem Buch »The His­pan­ic Con­di­tion – Reflec­tions on Cul­ture and Iden­ti­ty in Amer­i­ca« (1995) beobachtet Ilan Sta­vans, ein in Mexiko geboren­er Sozi­ologe, eine kul­turelle Trans­for­ma­tion der US-amerikanis­chen Gesellschaft, in der sich die His­pan­ics vom Rand zum Zen­trum hin bewe­gen. »Ich glaube, daß wir gerade Zeugen eines wech­sel­seit­i­gen Phänomens werden: His­panisierung der Vere­inigten Staat­en und Anglisierung der His­pan­ics. Als Aben­teur­er im »Dazwis­chen­land«, als Erforsch­er des El Dorado haben wir bewußt und umsichtig den Feind infil­tri­ert. Wir wollen uns nicht voll­ständig angle­ichen, son­dern möcht­en, daß die Anglos sich uns anpassen.« 

Es wird inter­es­sant sein zu sehen, was daraus für ein Kino entsteht…
(Gudula Meinzolt)