DOR (LONGING)

DOR (LONGING) zeigt Momente der Begegnung zwischen einigen sehr bodenständigen Charakteren, den jungen in der Gegend beheimateten Hirten - und einer Person, die sich in einem Moment des Schwebens und des Übergangs befindet; der junge Stefan Gota. Stefan ist ziemlich verloren, aber auch auf der Suche nach etwas. Offenbar ist er nach einem Aufenthalt in Belgien nach Rumänien zurückgekehrt, um ein neues Leben als Hirte zu beginnen. Stefan und die örtlichen Hirten sind sehr unterschiedliche Menschen, aber sie finden Wege, miteinander in Beziehung zu treten. Während Stefan zugleich Tattoowierer und Graffitikünstler ist und seine Spuren mitten im Nirgendwo anbringt, helfen ihm die jungen Hirten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. 

Dieser mittellange Film mag manchen Zuschauendem langsam vorkommen, weil er nicht einer ganz bestimmten Geschichte mit einem konventionellen roten Faden folgt. Doch genau das ist die Stärke dieses Films. DOR (LONGING) vermittelt durch Tempo, Rhythmus, Sounddesign und die träumerisch-melancholischen Bilder eine starke, immersive Atmosphäre. DOR (LONGING) ist ein eindrucksvoller Film. Denn er weckt Emotionen und bringt uns den Protagonisten nahe, während er gleichzeitig viel Raum zum Staunen und Nachdenken bietet, indem er uns auch im Dunkeln lässt und nicht alles offenbart. 

(Thomas John) 

THE CURSE OF THE HEDGEHOG

THE CURSE OF THE HEDGEHOG (Der Fluch des Igels) verfolgt über ein ganzes Jahr das Leben einer Roma-Großfamilie. Ihre Mitglieder gehören zur Gruppe der “Baesi”. Sie leben in äußerster Armut. Der Filmemacher begleitet sie auf dem Weg von ihrem Dorf in den Bergen, hinab zu den Ortschaften im Flachland, wo sie selbstgefertigte Dinge gegen Nahrungsmittel oder Geld einzutauschen versuchen. Bei diesen Wintertouren geht es für sie ums Überleben, weil sie ansonsten über keinerlei Einkommen verfügen. Der Film ist aber mehr als nur die Geschichte ihres Überlebenskampfes. Im Laufe der 100 Minuten wird deutlich, warum es für sie nicht in Frage kommt, Ackerbau zu treiben, und in welcher Beziehung sie zu den rumänischen Schäfern stehen und auch zu den reichen Baesi aus ihrem Dorf, die bei ihnen “Geschäftsleute” heißen und mit dem Verkauf von Schmuckimitaten im Ausland ein Vermögen machen. Mythisches Denken zusammen mit christlich-orthodoxer Religiosität spielt im Alltag der Familienmitglieder eine große Rolle. Diese Beobachtungen machen verständlicher, warum das Dasein dieser Menschen am Rande der Gesellschaft so voller Absurditäten und Schmerz ist. Mit Gewitztheit und Humor gelingt es ihnen zu überleben, aber sie fluchen auch viel. 

Dumitru Budrala, Filme (Auswahl): MUSEUM VIVUM (1992); NDURANCE (1993); ROMANIAN CAROLERS IN THE NETHERLANDS (1994); A WINTER RITUAL IN SOUTH TRANSYLVANIA (1995); ON THE ROAD (1997); SIBIU-HERMANNSTADT (1999); TRADITIONS (2002).

Iulian. A true story

Als Waisenkind suchte Iulian in den Straßen von Bukarest nach seiner Familie. Durch seine sympathische und charismatische Art findet er als junger Erwachsener schließlich eine neue. Seine Wahlfamilie schätzt die Offenheit des jungen Mannes, der unverblümt von seiner Jugend in einem rumänischen Kinderheim, seinem Leben auf der Straße und seinen Versuchen, sich ein selbstständiges Leben aufzubauen, erzählt. Seine Unterstützer sind berührt von Iulians offenem Herzen, seinen guten Manieren und seiner Fähigkeit, sich mit Charme und Wille durch den Großstadtdschungel zu kämpfen.

Our School

Im Jahr 2006 erhielt das rumänische Städtchen Târgu Lăpuş EU-Mittel zur Einführung der integrierten Schule, also für den gemeinsamen Unterricht von Roma und rumänischen Kindern. (…) Am Ende dieses Projekts finden sich die Roma-Kinder wieder dort, von wo sie gekommen sind – draußen. Diesen Prozess haben die beiden rumänischen Regisseurinnen über einen Zeitraum von vier Jahren verfolgt. Dabei gelingt OUR SCHOOL etwas sehr Spannendes: Zum einen verfolgen wir, wie sich die Überzeugungen der Mehrheitskultur – Bürgermeister, Schulleiter, Lehrer – zu einer institutionellen Gewalt verdichten, die über das Leben dieser Kinder entscheidet. Zum anderen erleben wir am Beispiel von drei Kindern, mit welchen Hoffnungen die Roma in das Projekt gestartet sind und spüren ihre Enttäuschung umso schmerzhafter. Ein atmosphärisch dichter und intelligent gebauter Film, der auf kein Klischee hereinfällt und sich seinen Protagonisten liebevoll nähert. Matthias Heeder, DOK Leipzig

Everybody in our Family

Da hilft nichts: Auf Stress reagiert auch der moderne Mensch wie sein steinzeitlicher Vorfahr. In Sekundenschnelle entscheidet die Körperchemie zwischen Angriff und Flucht. Neben dem morgendlichen Kater, seinen Eltern, dem Kampf mit dem Nikotin und seinem kaputten Auto ist Marius Vizereanus größter Stressfaktor der anstehende Besuch in der Patchworkfamilie, in der seine kleine Tochter Sofia mit der Oma, der Mutter und deren neuem Freund Aurel lebt. Marius ist dort höchstens als Zaungast eingeplant, aber heute will er Sofia zu einem Ausflug ans Meer abholen.

Wenn die Kamera mit ihm die enge Wohnung betritt, verwandelt sie sich förmlich in ein Messgerät. Jeder Blutdruckanstieg, jede Gefühlsregung, Wut, Sarkasmus, Drohungen, Selbsterniedrigung – alles wird minutiös aufgezeichnet. Schmutzige Wäsche und offene Rechnungen inklusive. Lange dauert Marius’ Besuch nicht, wir erleben ihn in Echtzeit, doch da der Kosmos der Familie erfahrungsgemäß ein großes Gefühlsspektrum bietet, können die exzellenten Darsteller hier aus dem Vollen schöpfen. Die Erfahrung ist fast immer eine Parodie auf die Idee. Das gilt auch für die Idee von Familie. Auch bei unauflöslichen Familienbanden helfen Angriff oder Flucht. Oder beides. Berlinale 2012