Globalisierung ist nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein kulturelles Phänomen. Eine der wichtigsten Ursachen ist die weltweit zunehmende Migration. Die Wanderung von Menschen geht einher mit dem Fluss von Ideen, Wertvorstellungen und Lebensstilen. Die kulturellen Bewegungen erfassen die Lebenswelt aller Beteiligten. Migration verändert nicht nur die Biografie der Einwanderer, sondern – was man in der aktuellen Debatte um Integration nicht wahr haben will – auch die Kultur der Einwanderungsgesellschaften. Leben und Identität vieler Menschen werden heute nicht mehr allein durch das Herkunftsland bestimmt. Sie entwickeln sich jenseits nationaler Grenzen, geprägt von vielfältigen kulturellen Erfahrungen. Migration erzeugt kulturelle Pluralität. 

Unser Filmprogramm beschäftigt sich mit den vielfältigen Formen der globalen Migration. So kann Migration die Konsequenz der ungleichen Verteilung des weltweit zur Verfügung stehenden Wohlstands sein. Dokumentarfilme wie DE NADIE, DAS KURZE LEBEN DES JOSÉ ANTONIO GUTIERREZ und I SEE THE STARS AT NOON erzählen von Menschen, die flüchten, weil sie der Armut und dem Elend ihrer Herkunftsländer entkommen wollen. Migration kann aber auch politische Gründe haben: Die iranische Familie in EXILE FAMILY MOVIE emigriert nach Österreich, weil sie nicht mehr unter den Bedingungen der ‚Islamischen Republik‘ leben möchte. Auch die Suche nach einem idealen Heimatort bewegt die Menschen: ODESSA ODESSA, der israelische Beitrag, reflektiert die Geschichte ukrainischer Juden, die mit großen Hoffnungen nach Amerika oder Israel auswanderten. 

Wie thematisieren Migrantinnen und Migranten selbst die Übergänge von einer Kultur in die andere? In ihren Filmen und literarischen Texten gewinnen seit geraumer Zeit Geschichten und Bilder an Bedeutung, die die Komplexität und Widersprüchlichkeit migrantischer Lebensräume künstlerisch sichtbar machen. Das vorherrschende Verständnis von Kultur wird dabei zugunsten eines spielerischen Umgangs mit kulturellen Identitäten in Frage gestellt. Identität erscheint nicht so sehr als etwas Authentisches, sondern als Effekt theatraler Inszenierungen. Deren Vielfalt zeigt das britische Kurzfilmprogramm WE ARE BRITISH BUT. Ernsthaft, aber auch mit viel Sinn für Ironie und Humor behandelt es unterschiedlichste Lebenswelten und –entwürfe in der britischen Einwanderungsgesellschaft. Besondere literarische und cineastische Aufmerksamkeit gilt heute auch den fremd (geworden)en Herkunftsländern von MigrantInnen und ihren Eltern. Welche Bilder entstehen, wenn ein Filmemacher nach 20 Jahren in das Land seiner Herkunft reist? Thomas Arslan, einer der bedeutendsten deutsch-türkischen Regisseure, begibt sich in seinem Dokumentarfilm AUS DER FERNE auf eine Reise in das Land seines Vaters. In behutsam tastenden Bildern erforscht er eine fremde Welt, in der er selbst einige Jahre seiner Kindheit verbracht hat.
Neriman Bayram