FILMISCHE PERSPEKTIVEN AUF DAS FREMDE

Der Ethnologie als Wissenschaft vom Fremden ist es ein zentrales Anliegen, Kulturen in ihrer Vielschichtigkeit zu begreifen und in differenzierter Weise darzustellen. Dies setzt Fremdverstehen, Offenheit sowie Unvoreingenommenheit voraus und dient dem Ziel, die betreffenden Menschen und Gesellschaften „von innen heraus“ zu verstehen und ihre Formen der Lebensgestaltung und Denktraditionen nachzuvollziehen. Die Umsetzung dieses Anspruchs stellt bereits in ethnologischen Publikationen eine besondere Herausforderung dar. Noch schwieriger gestaltet sich das Problem der Repräsentation des Fremden bei der visuellen Umsetzung, denn hier kommen neben der subjektiven Perspektive des Forschers noch weitere Aspekte hinzu: Als Filmemacher gilt es eine Sensibilität für die Aufnahmesituation zu entwickeln und adäquate Bilder für die Vermittlung des Themas zu finden. Durch die Kameraeinstellung, die Form, wie die Protagonisten in Szene gesetzt werden, die dramaturgischen Möglichkeiten beim Schnitt, hat der Filmemacher alle Möglichkeiten, die filmische Realität nach seinen Vorstellungen zu gestalten.

Ein ethnographischer Filmemacher, der sowohl dem wissenschaftlichen Anspruch wie auch den hier dargelegten filmspezifischen Anforderungen gerecht werden möchte, sieht sich mit einer schwer zu meisternden Aufgabe konfrontiert. Angesichts dieser Schwierigkeiten scheint es äußerst vielversprechend, wenn Film schaffende aus einem ethnologischen Kontext in einen Dialog mit Filmemachern ohne diesen Ausbildungshintergrund treten. Dieser Austausch ist eines der zentralen Anliegen bei der Auseinandersetzung mit diesem Schwerpunktthema. 

Die filmische Repräsentation fremder Lebenswelten ist zudem untrennbar verbunden mit der Frage nach der Verantwortung gegenüber den Gefilmten. Da es nur einem geringen Anteil der Zuschauer vorbehalten bleibt, die visuellen Informationen aus fernen Kulturen durch persönliche Erfahrungen zu überprüfen und zu ergänzen, kommt der Konstruktion von Fremdbildern im Film eine prägende Rolle zu. Vor diesem Hintergrund ist bei fremd-kulturellen Darstellungen immer auch die Komponente der adäquaten Vermittlung zu reflektieren. Für den Filmemacher bedeutet dies, das Zielpublikum bei der filmischen Realisierung nicht aus dem Auge zu verlieren. Noch weiter gefasst stellt sich die Frage, ob die kulturspezifischen Bedingungen der Rezipienten nicht auch einer spezifischen Art der filmischen Darstellung bedürfen. Auch diese komplexen Sachverhalte eröffnen im Rahmen des Schwerpunktprogramms das Feld für eine bereichernde Auseinandersetzung. 

Das ausgewählte Filmprogramm zielt auf die Darstellung einer großen Variationsbreite kultureller Phänomene ab und soll ein differenziertes Bild hinsichtlich der potenziellen Chancen und Gefahren visueller Beschreibungen ermöglichen. Die Themen reichen vom facettenreichen Einblick in die ethnologische Tätigkeit („The Professional Foreigner“; „Ngat is dead“; „Ghandi’s Children“) über die Dynamik der Selbst und Fremdwahrnehmung („Naua Huni“) bis hin zu ethisch prekären Themen („Jean Paul“) und schließen auch Darstellungen ein, die eher eine Außenperspektive betonen („Glorious Exit“). 

Ein Anliegen dieser Veranstaltungsreihe ist die ergebnisoffene Auseinandersetzung über Anspruch, Aufgabe und Funktion der Ethnologie bei der filmischen Darstellung fremder Kulturen. Die Auswahl der Filme und die hochkarätige Besetzung des Podiums im An schluss an die Filmreihe lassen interessante Gespräche und eine spannende Auseinandersetzung erwarten. 

Das Podiumsgespräch findet am Freitag, 23. Mai um 16.00 Uhr statt. Thema: Möglichkeiten und Grenzen der filmischen Umsetzung ethnologischer Leitlinien der Filmemacher in seiner Rolle als Vermittler zwischen den Kulturen. Auf dem Podium sitzen: David MacDougall (Ethnologe und Filmemacher, Australien); Barbara Keifenheim (Professorin für Visuelle Anthropologie und Filmemacherin, Frankfurt/Oder); Dr. Rolf Husmann (Ethnologe und Filmemacher, Göttingen); Dr. Asen Balikci (Ethnologe und Filmemacher, Bulgarien); Ton Otto (Professor für Ethnologie, Dänemark); Francesco Uboldi (Filmemacher, Italien). Die Moderation hat Dr. Hans-Peter Hagmann.
Jeannine-Madelaine Fischer 

Der Themenschwerpunkt wurde initiiert, gestaltet und betreut von Studierenden des Hauptseminars “Grenzfälle in der filmischen Repräsentation nichteuropäischer Kulturen” des Instituts für Völkerkunde der Universität Freiburg, geleitet von Dr. Hans-Peter Hagmann